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Dunkles Kapitel

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Die Hexenverfolgungen gehören zu den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte. Sie lassen Zweifel aufkommen, ob der Mensch wirklich jene Entwicklungshöhe erreicht hat, auf der er selbst sich sieht. Nicht zuletzt deshalb eignet sich dieses Kapitel ganz besonders als Thema für ein Buch, das versucht, ein Stück Geschichte nicht nur zu erzählen, sondern auch sozialwissenschaftlich zu durchleuchten. Was allerdings bei Hannsferdinand Qöblers Werk „He-

xenwahn“ vielversprechend beginnt, endet als unverbindliches Geplauder.

Was diffiziler Erklärung und, vor allem, eingehender Recherchen bedurft hätte, wird damit abgetan, daß das Andersartige, Unerklärbare zuerst eine Herausforderung sei, „dann eine Bedrohung, die man verteufeln muß, um sich selbst zu schützen, schließlich projiziert man, was man selbst nicht vergessen kann oder was man verdrängt hat, als Eigenschaft auf das so geschaffene .Feindbild'.“ Mit anderen Worten: Unruhige, schlechte Zeiten, Angst vor der Zukunft, Institutionen, die Kompensationshandlungen legitimieren, Außenseitertypen und Gruppen, die den gesellschaftlichen Konformitätsdruck mißachten und als Objekt der Projektion für die verdrängten Wünsche anderer Menschen herhalten müssen, sind Ursachen und Ziele für Verfolgungen.

Zur Zeit der Hexenverfolgung traf, so Döbler, dies alles zu: Es war die Zeit nach der großen Pest, in der die Verelendung wuchs und die starke Institution der Kirche ins Wanken geriet. Schuld daran, so glaubte man damals, sei der Satan, und da man seiner nicht habhaft werden konnte, wandte man sich gegen seine Vertreter auf Erden. Und diese waren bald gefunden: Die verdrängten sexuellen Gefühle und Wünsche des Mannes wurden in weibliche Außenseiter, zumeist harmlose Heilkräuterweiber, projiziert. Mitunter kam dazu die Angst der Herrschenden vor Zauberei. Die Kirche legalisierte die Hexenverfolgung, und die Erfindung des Buchdruckes begünstigte die rasante Ausbreitung des Hexenwahns. Was in den populärwissenschaftlichen Ausführungen Döblers einleuchtend klingt, hat nur einen Haken: Es existiert zwar eine Hypothese, aber keine ausführliche wissenschaftliche Beweisführung. Döbler verläßt sich mehr auf seine eigene Intuition, was nicht ausschließlich als negativ zu

werten ist, solange sie sich in realistischen Bahnen bewegt.

Das ist bei Döblerzweifellos der Fall, ganz von der Hand zu weisen ist seine Theorie sicher nicht. Doch sind die Mechanismen von Verfolgungswahn und Massenhysterie, die ja auch in der nationalsozialistischen Ära wirksam waren, wo die Juden die Stelle der Hexen einnahmen, viel zu ernst, um so leichthin aufbereitet zu werden. Hätte Döbler seine sicher bestsellerträchtigen, aber unnötig ausführlichen Beschreibungen der Hexenfolterungen unterlassen, und wäre dafür dem Phänomen möglichst in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern minutiös auf den Grund gegangen, wäre dem Leser, der sich obendrein noch mit einer gewissen Unsystematik des Buches abfinden muß, sicher mehr gedient gewesen.

Den detailgetreuen Folterungsbeschreibungen dürfte noch etwas anderes zum Opfer gefallen sein: Die Beantwortung der Frage, ob es sich bei den Hexen des Mittelalters allesamt um Frauen handelte, denen rituelle Zeremonien und Hexenglauben nur angedichtet wurden, oder ob es solche Betätigungen wirklich gab. Was natürlich daran nichts ändern würde, daß alle diesbezüglich Verurteilten unschuldig waren, da ja ein um den Drudenfuß hüpfendes, magische Zauberformeln murmelndes Weiblein ebenso wenig Wetter und Vieh beeinflussen konnte wie die anderen.

Döbler geht auf diese Frage nicht näher ein, lediglich in einem der letzten Kapitel, wo er über den Ursprung des heute praktizierten Hexenglaubens berichtet, deutet er an, daß es mit der Existenz uralter Hexenkulte nicht weit her sein dürfte. Doch die Beweisführung ist eher dürftig und steht im Widerspruch dazu, daß in alten Chroniken Salben und Tinkturen zu finden sind, die einen rauschähnlichen Zustand hervorrufen, der - zieht man Vergleiche mit noch lebenden Naturvölkern - wohl kaum nur als ärztliche Hilfeleistung, sondern eher als rituelle Betätigung verstanden werden muß.

Über den modernen Hexenkult erfährt man nicht viel mehr, als daß er eine Modeerscheinung darstellt. Auf psychologische und soziologische Hintergründe seiner Entstehung näher einzugehen, wird peinlichst vermieden. Dafür erfährt man, daß der Hexenwahn - zumindest in Deutschland - noch lange nicht ausgestorben ist. Als Beweis werden auf einem der Vorsatzblätter 200 Ortsnamen der Bundesrepublik angeführt, in denen „noch vor kurzer Zeit durch einen Kriminalbeamten nachgewiesen werden konnte, daß dort an Hexen geglaubt und danach gehandelt wurde.“ Soferne der Hexenwahn in Österreich irgendwann ausgestorben war, wurde er wohl im Zuge des Fremdenverkehrs aus Deutschland importiert. Wen wundert es da, daß es auf dem anderen Vorsatzblatt des Buches, wo die Ausbreitung des Hexenwahnes in verschiedenen Ländern dargestellt wurde, gar kein Österreich gibt? Nach alldem, was Deutschland mit Österreich verbindet, ist es doch einleuchtend, daß man die Hexenverfolgung in Österreich unter der Rubrik „Deutschland“ findet.

HEXENWAHN, von Hannsferdinand Döbler, C. Bertelsmann, München 1977, 335 Seiten, öS 246,40.

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