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Das magische Weltbild von heute

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Der bekannte Herrenfahrer Carraciola schloß vor einigen Jahren nach seinem Sieg auf der Avusbahn in Berlin eine kurze Ansprache mit den Worten: „Auf Wiedersehen”, fügte dann aber im Gedanken an die Tücken seines gefahrvollen Berufes den Wortklotz: „Unberufen” hinzu mit dem geheimnisvollen dreimaligen: toi, toi, toi, eine Klangnachahmung des Spukens. Wenn heute eine bekannte Filmdiva als Talisman stets ein kleines Glassplitterchen bei sich trägt, das sie sich bei einem Unfall aufbewahrt hat, um sich Erfolg zu sichern, wenn eine andere Filmdiva ihren vollen Namen unter den postalisch beförderten Unsinn eines Kettenbriefes setzt, ihn neunmal abschreibt und weiterleitet, wenn eine Dame von Welt spät abends in ihre Pelze gehüllt zu einer Kartenlegerin fährt, wenn eine Gemüsefrau am Morgen die ersten Groschen bespuckt, um sich ein gutes Geschäft für den Tag zu sichern, wenn Börsenmakler großen Stils ihre Transaktionen nur mit einem kleinen abgenutzten Bleistiftstümpfchen abschließen, das aber beileibe kein Messer berühren darf, wenn heute noch in den Apotheken das Berufs- und Beschreikraut, der aufrechte Ziest (Stachys recta), nicht nur als Medikament, sondern auch als Mittel gegen Behexen und Berufen gekauft wird, wenn am Kühler des Autos ein Hufeisen angebracht ist, auf der Schalttafel gleich eine Serie von Amuletten, an der Rückwand Maskottchen, Teddybären, Pierotts baumeln, die den Wagen und Insassen vor Panne, Polizei und Unfall bewahren sollen, so stehen wir rnit diesen und vielen anderen ähnlichen Tatsachen mitten drin im magischen Weltbild von heute.

Magie! Ein besonders in seinem Verhältnis zur Religion lebhaft umstrittener Begriff! Ein Wort von Geheimnissen umwittert. Geheimnisvoll in seiner Herkunft, geht es doch zurück an die 5000 Jahre in die Zeit der Sumerer. Geheimnisvoll in seiner Sinnbedeutung. Etymologisch bezeichnet Magie ein Tun, bei dem man sich rot färbt, also mit der Farbe, die als Ritual- und Kultfarbe bei allen Völkern eine geradezu auffallende Rolle spielt (Analogiezauber-Blutfarbe). Zum Verständnis des folgenden nehmen wir Magie als Aberglauben im weitesten Sinne, als Handlungen, die ausdrücklich oder stillschweigend göttliche Vollkommenheit auf Personen und Dinge übertragen, um Wirkungen zu erzielen, die nur mit Gottes Machtwillen hervorgebracht werden können.

Die Not der Nachkriegszeit hat den Okkultismus oder Parapsychologismus mit seinen mannigfaltigen Formen sowohl in volkstümlichen als auch in wissenschaftlichen Strömungen zu üppiger Blüte gebracht. Zeiten der Verworrenheit und Krisen, in denen gewaltige äußere Erschütterungen den Glauben eines Volkes an die bestehenden Werte und die religiösen Vorstellungen ins Wanken gebracht haben, begünstigen immer die. Flucht des Menschen in die mystische Sphäre des Übersinnlichen. Denn die Wissenschaft kann den angeborenen Trieb des Menschen nach Enträtselung der Zukunft und Entschleierung des Geheimnisvollen nicht befriedigen. Was Vererbungslehre, medizinische Prognostik, Psychologie, technische und chemische Erfindungen bieten, genügt der Wißbegierde nicht, und so ist es erklärlich, daß immer wieder der Versuch gemacht wird, über die Resultate und Grenzen der Wissenschaft hinauszugreifen in das Reich des Irrationalen und der Magie, wie der wissenswilde Faust nach all seinen Studien. Dieser dämonisch forschende und suchende Faust ist der Typus all der Menschen, die auch gerne einmal die Klinke niederdrücken möchten an der ehernen Pforte, hinter der das geheimnisvolle Reich des großen Unerforschten und Unerforschbaren liegt. Und so zeigt das Kulturbild vqn heute mit seinen verschiedenen Arten der M a n t i k, des magischen Erkennens oder der Wahrsagerei und den bunten Formen des magischen Handelns, der direkten Magie oder Zauberei in erschreckender Klarheit, in welch seelische Tiefen das magische Denken bei Gebildeten und Ungebildeten hineinreicht. Wir haben es hier durchaus nicht mit überlebten Anschauungen einer früheren primitiven Weltabsicht zu tun, sondern mit uralten lebenskräftigen Gedankenkreisen, die sich mit zäher Festigkeit durch die Jahrtausende im Volksbewußtsein unvermindert erhalten haben und die auch heute noch das Vorstellungsvermögen weitester Kreise nachhaltig beeinflussen, und zwar in einer Weise, daß das Magische zur Weltanschauung, zu einer emotional-magischen Ersatzreligion wird.

Mit seinen vielen Ausstrahlungsmöglichkeiten ist der magisch-abergläubische Bereich ein Labyrinth voll wirrer und vielfach verschlungener Wege. Unendlich mannigfaltig sind seine Formen, buntgewürfelt die Übergänge von einer Form zur anderen. Beinahe möchte man sagen, im Aberglauben werfe sich Mephisto ein Gewand von irisierendem Farbenspiel um die Schultern, um die Menschen zu narren. In allen Schattierungen befindet er sich bezüglich des Grades der Schuld und der Bildung, angefangen von der einfachen Vorstellung eines naiven, plumpen Glaubens Primitiver bis zu den Irrungen moderner Anthroposophen, vom Orakeln und Wahrsagen aus Kaffeesatz, Karten, Handlinien, Träumen, siderischem Pendel, bis Geisterverkehr in den Sitzungen der Spiritisten, vom Tischrücken, Gesundbeten, Berufen und Beschreien, Hellsehen, Gedankenlesen, Kettenbriefschreiberei, vom Horoskopstellen und Sterndeuten bis zum offenen Kult des Satanismus.

Im Ablauf der Zeiten ist er wie ein giftigen Hausschwamm in a’le Gebiete des menschlichen Lebens hineingewuchert, in Kunst, Religion, Politik, Wirtschaftsleben, Heilkunde und besonders ins Volkstum, wo er in der Volksphantasie einen fruchtbaren Nährboden für die von Jahrhundert zu Jahrhundert vererbten abergläubischen Volksbräuche findet. Wie groß die Welt des Aberglaubens und die Verirrungen der Magie sind, zeigt das im Jahre 1927 von namhaften Gelehrten des In- und Auslandes begonnene und vor kurzem abgeschlossene, auf viele Lexikonbände angelegte Standardwerk „Handwörterbuch de- deutschen Aberglaubens”.

Merkwürdigerweise ist der Aberglaube in jenen modernen Berufen am meisten verbreitet, wo man allergrößte Sachlichkeit erwarten sollte: beim Flieger aller Nationen, beim Autofahrer, Bergmann, Sportsmann, Theatergrößen, Filmdiven. Wo immer das Menschenleben aus dem Bereich der unproblematischen Sicherheit herausgerissen wird, wo es den tausend Tücken des immer wiederkehrenden ungnädigen Zufalls stark ausgesetzt ist, nimmt es in gesteigerter Angst- und Notlage seine Zuflucht zu Dingen und oft winzigen und kleinsten Sächelchen, die in gewöhnlichen Lebensbedingungen belanglos sind, zu durchlöcherten Münzen, abgerissenen Hosenknöpfen, Haaren von schwarzen Katzen, Elefantenborsten, die aber dann ihre größte Bedeutung erlangen, wenn sie der Glaube an ihre glückbringende und unheilabwehrende Kraft einreiht in die große Bannwelt der Suggestion. So erklärt sich psychologisch der Gebrauch der Talismane und Amulette, den wir bei allen Völkern der Erde finden, angefangen vom Fetisch der Primitiven, den Neid- und Siegrunen und Brakteaten unserer Vorfahren bis zu den raffiniertesten Formen der modernen Juwelierkunst mit der Edelsteinsymbolik der Monatssteine, um sich im Kampfe des Lebens gegen unholde Mächte hieb- und stichfest zu machen.

Hier haben wir das charakteristische Wesensmerkmal allen Aberglaubens seine antisoziale und egoistische Einstellung, hervorgegangen aus der Angst, der Existential- angst und vor dem knechtisdien Sichducken vor dem an allen Ecken und Enden gewitterten und seine Existenz bedrohenden feindlichen Mächten. Diese Angst wird beim Abergläubisdien zur unschöpferischen Feigheit, die alles frohe Schaffen und Wagen hemmt. FeigheitundAberglauben sind psychologisch nicht zu trennen. „Was die Feigheit am meisten fürchtet”, sagt einmal Kierkegard, „ist das Fassen eines Beschlusses; denn ein Entschluß zerstreut immer einen Augenblick die Nebel.” Aberglaube ist immer ein Zeichen mangelnden Selbstbewußtseins, schwächlichen Geistes, ist Fahnenflucht ‘us der Wirklich-

keit in das graue Nebelreich der Magie, ist wie aller Aberglaube ein Sudien im Dii- stern, ein Verzicht auf d e erprobten christlichen Mittel des Gebetes und des gläubigen Gottvertrauens und des heldischen Willens, das Leben zu meistern. Statt tapfer am Steuer des Lebens zu stehen, verkauft der Abergläubische seine, Seele an düstere Mächte und menschenunwürdigen Hokuspokus. Aberglauben ist immer ein Lossagen vom richtigen Gesetz des Denkens, und es gilt das Wort, das der Geist aus der Hölle hämisch dem Faust nachruft:

„Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, Laß nur in Blend- und Zauberwerken Dich von dem Lügengeist bestärken, So hab ich dich schon unbedingt.”

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