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Enträtseltes Weltgeheimnis

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Unter den Malern de europäischen Kulturkreises hat Rembrandt vielleicht am tiefsten das Wesen faustisch-abendländischen Menschentums in Bildern und Kupferstichen daxgetellt. Seine Werke sind, wie die aller großen Geister, eindringliche und erschütternde Versuche, das Weltgeheimnis zu enträtseln. In grenzenloser Sehnsucht durchschweift der faustische Geist alle Bereiche des Lebens und der Welt, um die „Quinta Essentia“, den „Stein der Weisen“, zu finden, der dem Entdecker nicht nur Enthüllung der letzten Wahrheit, sondern auch ewig-schöpferisches Leben verheißt, das Krankheit und Alter überwindet, ja selbst hybrid dem Tode trotzt. Umgetrieben von rastlosem Wahrheits- und Ewigkeitsdrang, kann der faustische Mensch nicht früher zur RuheJtommen, bis er sich des „Großen Eli-:siers“^emächtigt hat. Auch von Rembrandts Alchimisten und Magier würde die Sibylle sagen: „Den lieb ich, der Unmögliches begehrt!“ Gerade der Rembrandtsche Faust ist ewiges Sinnbild jener Menschen, die Goethe einmal „die sehnsuchtsvollen Hungerleider nach dem Unerreichlichen“ genannt hat.

Allein der faustische Mensch in nach seiner ruhelosen Wanderung durch alle Bereiche des Daseins, der Kunst und Wissenschaft, der Philosophie und Magie zu der erschütternden Erkenntnis gelangt, die später Goethes Faust mit schonungsloser Ehrlichkeit in die Worte faßt:

Ich fühl 's. vergebens hab ich alle Schätze des Menschengeists auf mich herbeigerafft, und wenn ich mich am Ende niedersetze, quillt innerlich doch keine neue Kraft; ich bin nicht um ein Haar breit höher, bin dem Unendlichen nicht naher.

Ist es vielleicht gerade diese Situation, in der uns Rembrandt seinen Faust zeigt? In einer düsteren Zelle, angefüllt mit hunderterlei Instrumenten, mit Totenköpfen und Retorten, mit Planetengloben und Pergamenten, hat er wieder eine Nacht wachend und forschend, experimentierend und schreibend zugebracht. Über seinem Studium ist er bereits ein bejahrter Mann geworden. Sein großer, faltenreicher Überrock und die hohe Mütze geben ihm das phantastische Aussehen eines Magiers und Beschwörers, der entschlossen ist, nichts unversucht zu lassen, um seine maßlose Wahrheit*- ' und Lebenssehnsucht irgendwie zu befriedigen.

An seinen Instrumenten lassen sich unschwer die Reiche erkennen, in die er ein-vudringen versuchte, um dort den „Stein der Weisen“ zu finden. Die Planetengloben seines Studierzimmers sollten ihm Handlanger sein, das Geheimnis des Sternenhimmels zu enthüllen. Als Astrolog und Astronom wollte er aus dem Gang der Gestirne nickt nur die wundersame Harmonie des Weltalls ergründen, sondern aueh die Schicksale der Menschen und der Völker, vor ÄÜem aber auch den Gang seines eigenen Lebensschicksal enträtseln.

Allein der Weltgeist, der die Bahnen der Sterne wie die Schicksale der Menschen und Völker lenkt, läßt sich von keinem menschlichen Geist das Urgeheimnis seines Welc-regiments entreißen. Dem Menschen bleibt es versagt, aus den Zeichen des Himmels die Zeichen der Zeit und das Schicksalsgesetz jedes einzelnen Menschen eindeutig ablesen zu können.

Aber auch in den Pergamenten, beschrieben mit der Weisheit der alten Meister, hat er vergeblich nach Antwort auf die Rätselfragen der Welt und des Lebens geforscht. Nun weiß er. daß die Wahrheitssucher vor ihm ebenso jämmerlich geirrt haben wie er.

Wie oft mag der Rembrandtsche Alchimist in den einsamen Mitternächten seiner düsteren Studierstube Zwiegespräche mit den Totenköpfen auf seinen Pulten gehalten haben! Aber trotz aller Beschwörungen ist keiner der Geister, die einmal in diesen Köpfen gehaust haben, erschienen, um ihn einen Blick in die Welt jenseits von Tod und Grab zu tun lassen.

Zahllos mögen die Experimente gewesen seih, die er in seinen Retorten versucht hat. Der Alchimie hatte er sich im besonderen verschrieben, im Glauben, auf diesem Wege am sichersten zum Ziele kommen zu können. Heißt ja auch dieses Bild ursprünglich: „Der praktizierende Alchimist“ und wurde erst hundert Jahre später in einem Pariser Gemäldekatalog in der richtigen Erkenntnis seiner Bedeutung als „Faust“ bezeichnet. Aber so wenig der in den Weltenraum schauende Astronom und Astrolog, so wenig der magische Totenbeschwörer und der unermüdliche Pergamentenforscher zum Ziele gelangt sind, so wenig war auch der praktizierende Alchimist imstande, in seinen Glaskolben jenes mystische und dynamische Etwas herzustellen, das die^e ewige Wandlung und Verwandlung^ der Welt bewirken könnte. Gott aber, von dem einer einmal gesagt hat, daß er der größte Alchimist sei, läßt sich von keinem Alchimisten in seine Werkstatt schauen.

Aber sollte sich der Weltgeist dem unermüdlichen Lebens- und Wahrheitssucher für immer versagen? Sollte der hohe Drang einer gottsehnsüchti^en und ewigkeitsdurstigen Seele in der Nacht der Verzweiflung enden? Wer aber eine solche Nacht der tiefsten Demütigung und Enttäuschung er^bt hat, ist reif geworden für das Licht der Offenbarung und für den Einstrom des schöpferischen Geistes, der ist reif für das alte Pfingstgebet: Veni Creator, Spiritus! Komm, Schöpfer-Geist! Und so wird die Nacht grauenvoller Verzagtheit und grenzenloser Einsamkeit gekrönt durch einen Morgen der Erfüllung und Begnadimg. Ein unsagbarer Glanz erfüllt plötzlich dis Zimmer. Faust hat sich aus seinem I ehnstuhl erhoben, die Hände auf den Tisch gestützt wendet er in Schreck und Staunen sein Gesicht zum Fenster, wo eine mystische Sonne mit geheimnisvollen Zeichen und magischen Buchstaben erschienen ist. Aber der Glanz dieser'seltsamen Strahlensonne ist so überwältigend groß, daß er, von ihr geblendet, seinen Blick auf einen Spiegel richtet, der von der Hand eines sonst unsichtbaren Wesens gehalten wird.^während die Finger der anderen Hand in den Spiegel weisen. Soll das bedeuten, daß dem Menschen auf dieser Erde die unmittelbare Begegnung mit dem Weltgeist von Angesicht zu Angesicht versagt bleibt? Daß er das Weltgeheimnis nur im Abglanz und Gleichnis, nur im Sinnbild und in der Widerspiegelung schauen kann?

Aber eines bewirkt die Kraft des gött-lidien Offenbarungslichtes schon jetzt und hier. In seinen Strahlen zerrinnen und zer-sdimelzen förmlich die eisernen Stäbe des Fensters, es geschieht wirklich ein Einbruch des Überirdischen ins Irdische, des Ewigen ins Zeitliche, des Dort ins Hier. Die Wände, an denen Faust getastet und geklopft, die er durchdringen und durdibrechen wollte, sind gefallen. Mochte er zum Weltgeist und seinen Rätseln nicht gelangen, so ist nun der Weltgeist in unbegreiflicher Begnadung zu ihm gekommen, bis hinein in seine Studierstube, um seine Sehnsucht nach Wahrheit und Leben zu stillen. Aber der Weltgeist gibt sich ihm kund in Zeichen und Buchstaben, die dem Magier und Alchimisten nicht völlig unbekannt sind. Vermögen wir Menschen von heute die Inschrift dieser mystischen Sonne bis auf den letzten Buchstaben zu enträtseln?

Im innersten Kreise stehen innerhalb eines Malkreuzes die dem Alchimisten und allen Menschen wohlvertrauten Buchstaben INRI, die Kreuzbeschriftung. Nach dem Verständnis des Johannes-Evangeliums, das bei den Griechen und den Völkern Europas in besonderem Maße Eingang gefunden hat, ist Christus gleichbedeutend mit dem schöp-ferisdien Wort, durch das Gott alle Dinge geschaffen hat. Christus gilt als der „Logos“, durch den sich der Schöpfergeist Gottes als Licht, Leben und Liebe offenbart. Dieser „Logos“ ist sosehr in die Schöpfung und in die Geschichte des Mensdien eingegangen, daß er das Schicksal der Welt, daß er Leid, Tod und Kreuz auf sich nahm. Diesem „Logos“, durch den sich Gott unauflöslidi mit unserer Welt verbunden hat, ist das größte Meisterwerk aller Aldiimie und Magie gelungen. Er hat Nacht in Licht, Leid in Freude, Böses in Gutes, Fluch in Segen, Feindschaft in Liebe verwandelt. Deshalb hat Rembrandt auf allen seinen Christusbildern die irdische Erscheinung de* „Logos“ in ein überirdisches Licht getaucht und sein Haupt mit einer Strahlenglorie geschmückt, aus dem Glauben heraus, daß uns Gott in ihm das Licht der Welt geschenkt hat.

Im zweiten Kreise lesen wir die Worte: ADAM TE DAGERAM. Adam ist der Mensch, aus Erde geschaffen, aber mit dem göttlichen Adelsbrief ausgestattet, sich die Erde untenan zu machen und Statthalter Gottes in dieser Welt zu sein. Allein seiner hohen Sendung wird der Mensch nur gerecht, wenn sein Denken und Handeln am „Logos“, an dem in der Welt offenbar gewordenen Schöpfergeist Gottes, ausgerichtet ist. Nach seinem Vorbild muß der Mensch durch viele Wandlungen und Verwandlungen gehen, damit auch ihm das alchimistische Lebenskunstwerk gelinge, Träger sieghaften Lichtes, Künder echter Freude und Bote der dienenden Liebe in einer von Finsternis und Bosheit, von Leid und Tod bedrohten Welt zu sein.

Nun beginnen die großen Schwierigkeiten in der Deutung der anderen Buchstaben und Worte. Denn ebenso unverständlich wie die Worte TE DAGERAM im zweiten Kreis sind auch die Worte im dritten: AMRTET ALGAR ALGASTNA. Waren diese Worte Rembrandts verständlich? Stammen sie aus alten Schriften über Alchimie und Magie, deren Verständnis nur einem kleinen Kreis Eingeweihter zugänglich war?

Verschiedene Deuter versuchen durch Budistabenversetzung einen Sinn in diese geheimnisvollen Worte zu bringen. Es entstehen dadurch Aussagen, die sich auf Gott und die Größe seines herrlichen Namens und Wesens beziehen. Ein Deuter will mit Hilfe eines magischen Zahlenschlüssels in den Worten des zweiten und dritten Kreises die Namensinschrift Rembrandts lesen: Rembrandt Harmenszoon van Rijn Schilder te Amsterdam. Das würde nichts anderes heißen, als daß der Maler und Kupferstecher Rembrandt die Sinnmitte für sein Leben und Schaffen im INRI gefunden habe, daß sein Werk im kosmischen Drama des Kampfes zwischen Licht und Finsternis die Botschaft vom Siege des Lichtes, des Lebens und der Liebe verkündigen wolle. Es würde sich dabei um das innerlichste persönliche Herzensbekenntnis Rembrandts handeln, das allen Alchimisten und Magiern, allen Philosophen und Astrologen, allen Wahrheitsund Lebenssuchern sagen soll, daß sie gleich ihn im „Logos“ Gottes die „Quinta Essen-tia“, den „Stein der Weisen“, finden möchten, indem sie den Weltgeist um Erleuchtung und Begnadung bitten, wie ein frommer Zeitgenosse Rembrandts es getan hat:

Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschöpften Lichte, schick uns diese Morgenzeit , deine Strahlen zu Gesichte und vertreib durch deine Macht unsre Nacht.

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