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Ein Epos des Todes

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Es kommt immer wieder vor, daß gute Bücher, von der Kritik unbeachtet, vom Verlag publizistisch nicht genug betreut, von der graphischen Aufmachung her ungeschickt gestaltet, unbemerkt untergehen, obwohl sie mehr Beachtung und mehr Leser verdienten - weil sie eben gut sind.

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Es kommt immer wieder vor, daß gute Bücher, von der Kritik unbeachtet, vom Verlag publizistisch nicht genug betreut, von der graphischen Aufmachung her ungeschickt gestaltet, unbemerkt untergehen, obwohl sie mehr Beachtung und mehr Leser verdienten - weil sie eben gut sind.

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Ein Beispiel dafür: „Bericht über Samür“ von einem Isländer, Per Olof Sundmann. Island, das klingt auf dem deutschen Buchmarkt fast schon exotisch, zu einer anderen Welt gehörig. Qualität erwartet man sicher da nicht so ohne weiteres.

Trotzdem ist dieses Buch sicher eines der besten, die in den letzten Jahren aus anderen Sprachen übersetzt wurden! Weil es ein neues Material bringt, weil es über die pseudoformalistischen Probleme hiesiger Scheinavantgarde hinausgeht. Hier wird wieder erzählt, fabuliert, und diese Fähigkeit scheint bei uns verlorengegangen zu sein.

„Eine große Insel weit draußen im Meer. Der Wind kommt meist von Westen oder Nordwesten. Die Luft ist sehr klar. Man kann die Insel mit dem Schiff oder mit dem Flugzeug erreichen. „So einfach, so schlicht, so lapidar beginnt das Buch. Und bereits in diesen wenigen Zeüen wird die erzählerische Kraft des Autors spürbar; keine erzählerische Redundanz wird geduldet; knappe Formulierungen, direkt geschriebene Emotion. Sprache und Landschaft fließen ineinander, steigern einander zu greifbaren, faßbaren Größen.

Es geht um eine Sippenfehde im nördlichen Island, in dem noch im zwanzigsten Jahrhundert scheinbar feudalistische Zustände herrschen. Es geht um einen Mord und dessen Sühne durch die alte Gerichtsbarkeit. Wer jetzt kriminalistische Aspekte erwartet hat, wird enttäuscht. So bülig gibt es der Autor nicht. Eine Sippenfehde, die gleichzeitig Symbol ist für die Macht des Stärkeren, der letzüich deswegen der Stärkere ist, weü sich auch auf dieser Insel fast unmerklich die Produktionsverhältnisse geändert haben, weü der Kapitalismus in die Naturgesetzlichkeit eingegriffen hat.

Das alte demokratische System ist mehr Farce, Fassade, Gelegenheit für wirtschaftliche Machtbeweise. Die alte

Moral darf zum Schein noch weiterleben, weü sie dienlich ist für weitere Machtausdehnung. Das Gleichgewicht der Produktion hat sich in das Gleichgewicht der Natur eingeschlichen.

Alles das steht im Gegensatz zu der scheinbar intakten Naturlandschaft, zu den „klaren Flüssen und den Weiden“, zu der scheinbar urgründigen Emotionalität und Sexualität der Menschen. Doch Sundmanns klare Sprache reißt hier genau die Abgründe auf, die die neue Produktion verschleiert. Die Sprache wird zur Inkarnation des Zerfalls', des Zusammenbruchs eines alten Systems, zum Symbol der Ver-ständnislosigkeit dem Außenseiter gegenüber. Die Industrialisierung der Natur als neues Naturgesetz. Finanzielle Macht spricht Recht In diese Situation plaziert Sundmann seine Geschichte und er bemitleidet nicht, beschwört nicht eine feudale Vergangenheit, sondern nimmt zur Kenntnis und setzt seine Kritik in Sprache um. Der Mord wird somit zum Mord an einem Gesellschaftssystem, das verzweifelt seine Autonomie retten wül und schließlich untergeht - wobei seine Fassade für das Neue herhalten muß. Damit wird das Buch zu einem Epos, einem Monumentalgesang nordischer Verzweiflung, wird das Buch auch Weltliteratur.

„Und alle, die hier leben werden, werden finden, daß das in Ordnung ist“, heißt es am Ende. Ein bitteres Ende, denn in Ordnung ist gar nichts, die „Ordnung“ ist da, mehr nicht. Eine unendliche Trauer macht sich breit, ganz unpathetisch, verhalten, wie echte Trauer eben ist, in knappen, intensiven Worten. Der Schein des Funktionierens^bleibt, der Schein der alten Ordnung. m

BERICHT ÜBER SAMUR, Roman von Per Olof Sundmann. Verlag Benziger, Zürich 1977, 259 Seiten, öS 220.-.

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