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Ein Wegbereiter der Aufklärung

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Im Lauf des frühen 18. Jahrhunderts griff der Jansenismus, jene auf Augustinus zurückgreifende Reformbewegung des holländischen Phüosophen Und Theologen Corne-“ liusi Jansen (1685-1638) auch auf Österreich über. Der Schweizer Historiker Peter Hersche beleuchtet die Anfänge dieser Bewegung in Österreich durch die Darstellung einzelner markanter Persönlichkeiten des kirchlichen Lebens und ihrer Beziehungen zum italienischen Jansenismus. Der Josefinismus war selbst „zunächst eine von den philojanseni-stischen Bischöfen getragene Reformbewegung innerhalb der Kirche“, deren Anregungen erst später von seiten des Staates aufgegriffen und ausgebaut wurden (S. 64). Dies vor allem, sobald Vertreter des Jansenismus in Wien nicht nur in einflußreichen Positionen saßen, sondern auch auf das Herrscherhaus Einfluß gewannen: „Die Aufnahme des Jansenismus am Kaiserhof durch Maria Theresia war“, so urteilt Hersche, „die Voraussetzung zu einer ungehinderten Verbreitung in Österreich ... Die aus einem kleinen Kreis hervorgegangene Bewegung wurde zu einer einflußreichen geistigen Macht“ (S. 162).

Kein Wunder also, daß sich eine derartige Strömung sowohl im Episkopat als auch im niederen Klerus, an den theologischen Fakultäten ebenso wie in der Presse breitmachen konnte. Allerdings folgte einer Hochblüte des Jansenismus unter so radikalen Wortführern wie de Terme, Wittlola und Blarer ein rascher Niedergang gegen Ende der achtziger Jahre. Verschiedenes war dafür maßgebend, etwa der Einfluß der römischen Kurie, die Feindschaft der Jesuiten sowie das natürliche Ableben vieler Jansenistenhäupter. Eine entscheidende Rolle spielte jedoch letztlich die innere Unvereinbarkeit von Aufklärung und Jansenismus: dieser mochte zwar „einer der wichtigsten Wegbereiter der Aufklärung“ in Österreich gewesen sein, er wurde dennoch von eben dieser noch im josefinischen Jahrzehnt überrundet und als veraltet eingestuft“ (S. 355).

Die österreichische Kirchenreform unter Josef II. kann nicht einfach als Übergriff des Staates angesehen werden; sie war „mindestens ebenso wie vom Staat von der Kirche selbst

herbeigeführt worden“ (S. 384). Freilich mußte eine staatliche Macht, die von der Notwendigkeit einer „großen Remedur“ (Maria Theresia) der kirchlichen Angelegenheiten überzeugt war, im reformfreudigen Jansenismus ihren natürlichen Verbündeten 'finden, zumal dieser seinerseits schon früher staatskirchliches Gedankengut in sich aufgenommen hatte. Dennoch konnte die unorganische Symbiose zweier im Grunde so unvereinbarer Geistesrichtungen nicht von Dauer sein - auch dann nicht, wenn man sie durch die Unterscheidung von „wahrer“ und „falscher“ Aufklärung zu retten suchte.

Hersche gelingt es, ein ebenso differenziertes wie anschauliches Büd der von ihm untersuchten Epoche zu entwerfen. Wer immer sich in Zukunft mit diesem Abschnitt österreichischer Geistesgeschichte zu beschäftigen hat, wird an dem Buch nicht vorübergehen können. Ob alle darin vertretenen Thesen stichhältig sind und inwiefern sich etwa Ergänzungen als notwendig erweisen, muß die weitere Diskussion der Fachleute zeigen. Erkennbare Schwächen hat Hersche jedoch dort, wo er den Boden der reinen Geschichtsforschung verläßt - etwa mit Sätzen wie: „Die Theologie kann aufgeklärt sein, aber nicht die Kirche, denn das würde ihre Selbstaufgabe bedeuten“ (S. 399); oder wenn er, der sonst so kritisch zu prüfen versteht, den Aufklärern Hel-vetius und Holbach ohne jeden Vorbehalt bescheinigt, sie hätten „den ideologischen Charakter der Religion aufgedeckt“ (S. 399).

Auch die Einführung eines so problematischen Werks wie der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno müßte wohl vorsichtiger und kritischer erfolgen.

Dennoch können derartige Mängel (die sich übrigens fast nur auf den letzten Seiten eingeschlichen haben) das Verdienst des Verfassers nicht schmälern, einen grundlegenden Beitrag zur Erforschung der österreichischen Geschichte des 18. Jahrhunderts erbracht zu haben.

Universitätsassistent

DER SPATJANSENISMUS IN OSTERREICH. Von Peter Hersche. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 1978, 451 S., öS 480-

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