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Einbildung ist die halbe Wirtschaft

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Eine Philosophie des Als-ob ist uns seit 80 Jahren vertraut. (1911 erschien unter diesem Titel das Hauptwerk, mit dem Hans Vaihin-ger den „Fiktionalismus" begründete.) Nunmehr hat Holger Bonus, an der Universität Münster als Professor für Volkswirtschaftslehre tätig, für ein Pendant gesorgt: In einem Buch" mit dem Allerwelts-Titel „Wertpapiere, Geld und Gold" - verräterisch ist erst der Untertitel: „Über das Unwirkliche in der Ökonomie" - entwickelt er an Hand der Paradebeispiele Goldstandard, Giralgeldschöpfung, Börse, Euromarkt, Konvertibilität und Goldnotierung eine verkable „Ökonomie des Als-ob", zusammengefaßt in der Kernaussage: „Die moderne Wirtschaft, ein sehr reales Phänomen, ist durchsetzt von nicht verläßlichen Wirklichkeiten, die unversehens ins Unwirkliche übertreten können. Gold hat nur Wert, solange nicht jedermann diesen Wert realisieren will; Aktien sind nur zu verkaufen, solange nicht alle verkaufen wollen; und der Übergang von einer Währung in die andere ist nur solange möglich, wie ihn nicht alle vollziehen wollen."

Die Metapher, mit der dies exemplifiziert wird, ist der Theater • saal, dessen Türen sich als viel zu klein erweisen, wenn bei einem Brand eine Panik ausbricht: So etwa stand und fiel die Goldeinlösepflicht für die Banknoten von anno dazumal damit, daß nicht alle Banknoten zugleich zur Einlösung präsentiert werden. Die Kredit-(=Geld-)Schöpfung der modernen Banken geht von der Voraussetzung aus, daß nicht alle Kontoinhaber zugleich Barabhebungen tätigen. Und die Aktienbörse ist ein Saal ohne Ausgang: Fände sich nicht zu irgendeinem - entsprechend niedrigen - Kurs ein Käufer, ließe sich das in Aktien angelegte Vermögen überhaupt nicht realisieren, weil der Anspruch des Aktionärs auf das Sachkapital der Aktiengesellschaft ein fiktiver ist.

An sich ist Fiktivität von Geld (und Geldeswert) nichts Neues. Spätestens seit an die Stelle von Münzen aus Edelmetall Papiergeld getreten ist, steht außer Zweifel, daß das Wesen allen Geldes eine Konvention ist: die stillschweigende Übereinkunft, als Bezahlung für die eigene Leistung irgendetwas -sei es ein bedrucktes Stück Papier oder sei es, wie nach dem Krieg, eine Packung Zigaretten - zu akzeptieren. Für diesen Sachverhalt hatte schon Sigismund von Radec-ki (1891-1970) eine sehr einprägsame Formulierung gefunden: „Geld muß geglaubt werden."

Holger Bonus freilich läßt es damit nicht bewenden: Er weist nach, daß eine „Konvention vom dritten Grad" benötigt wird (oder eigentlich richtiger: ausreichend ist). Besonders elegant demonstriert wird dies am Beispiel des Handels mit sogenannten „Gold-futures", besonders einprägsam ah Hand der seinerzeitigen Goldeinlösepflicht der Notenbanken.

„Obwohl die Goldeinlösepflicht im Grunde fiktiv war, weil die Notenbanken nur für einen Bruchteil des umlaufenden Geldes Golddek-kung besaßen, genügte zum Funktionieren des Goldstandards die Überzeugung, daß alle anderen glauben würden, niemand werde die Notenbank emsthaft beim Wort nehmen. Jeder einzelne Teilnehmer an der Wirtschaft mußte also glauben, daß der durchschnittliche Teilnehmer davon ausgehen würde, der Durchschnitt aller Teilnehmer werde sich so verhalten, als sei die Goldeinlösepflicht nicht fiktiv, sondern real."

Latente Unwirklichkeit

Wer selbst das nicht genügend philosophisch findet, wird im Epilog („Latente Unwirklichkeit, bedingte Realität") bestens bedient: „Die Konvention, allgemein davon auszugehen, daß jede Geldeinheit für eine entsprechende Goldeinheit stehe, ...verhinderte, solange allgemein eingehalten, die Realisierung der latenten Unwirklichkeit. Latente Unwirklichkeit aber, die nicht realisiert wird, ist unwirksam und kann für bare Realität genommen werden."

Reichlich bedient finden sich aber auch Leser, die es nach Handfesterem gelüstet, wird doch jede These mit konkreten Beispielen aus der jüngeren und jüngsten Wirtschaftsgeschichte belegt, wobei es bloß schmerzt, daß die CA zu den deutschen (!) Großbanken gezählt wird, die vor 1931 mit kurzfristigen Auslandgeldem ihre Kredite exzessiv ausgedehnt hatten.

Besondere Erwähnung verdient das angefügte Glossar: Es umfaßt nur 70 Fachausdrücke, aber besser sind diese noch nirgends erklärt worden.

" Holger Bonus: Wertpapiere, Geld und Gold. Über das Unwirkliche in der Ökonomie. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1990. 184 Seiten, öS 220,-.

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