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FILM

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Der Italiener Bernardo Berto-lucci entwickelt sich immer mehr zum hochbegabten Enfant terrible. Von Moravia und Pasolini inspiriert, debütierte er 1962, mit 21 Jahren, mit „La commare secca“ (Die dürre Gevatterin). Seit diesem erfolgreichen. Erstling zählt er zu den führenden Regisseuren der jungen Generation Italiens. „Vor der Revolution“ (1964) festigte seinen Ruf in der Cineasten-Welt, aber erst mit dem fünften Film, „II conformista“ (Der große Irrtum), drang er auch in unsere Kinos vor. „Die Strategie der Spinne“ brachte es hierzulande immerhin zu einer Fernsehausstrahlung, bis dann 1972 „Der letzte Tango in Paris“, der internationale Kassenschlager, folgte.

Der Kommerzerfolg dieses Streifens sicherte dem Regisseur die Geldquellen für das 150-Millionen-Projekt „1900“, das zu einem Fünfstundenepos gedieh und beim heurigen Filmfestival von Cannes nicht nur durch seine Monsterlänge Aufsehen erregte.

Der erste Teil dieses Mammutfilms, der in der deutschen Fassung auch noch die respektable Länge von fast zweidreiviertel Stunden aufweist, hat nun Einzug in unsere Kinos gehalten. Von der Befreiung Italiens Anno 1945, die Bertolucci allein aus der Perspektive kommunistischer Partisanen betrachtet, auf den Beginn unseres Jahrhunders zurückblickend, schildert er die Gegensätze zwischen feudalen Großgrundbesitzern und bettelarmen Bauern und Taglöhnern in der Emilia. Im ersten Teil des Films gelingen dem Regisseur großartige Bildeindrücke des Milieus, der Landschaft, vor allem aber die bedrük-kende Illustration einer bitteren sozialen Realität dieser Zeit, in der man sich mit Arbeitnehmervertretungen und Streiks gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu wehren begann.

Die zweite Hälfte des vorliegenden ersten Teils von „1900“ blendet in die frühen zwanziger Jahre über, also in die Anfänge des italienischen Faschismus, der im Kommunismus seinen stärksten Widerpart fand. Hiebei verliert Bertolucci allmählich die sozialkritische Thematik und zieht auch die politische nicht mehr durch, er verzettelt sich vielmehr im privaten Beiwerk seiner „Helden“ -der eine ist Sohn des Grundbesitzers und der andere der des Bauern, sie sind zu gleicher Stunde geboren, werden Freunde und ziehen sich als 'roter Faden durch die Handlung -, das sich ohne dramaturgische Motivierung mit Vorliebe auf sexueller Ebene abspielt, wobei die einschlägigen Szenen von unterschiedlicher Kraßheit sind. Auch vereinzelte Exzesse der Brutalität konnte sich der Regisseur nicht verkneifen.

Bertolucci gab in der Pressekonferenz in Cannes zu, daß er diese Ingredienzien bewußt eingestreut hat, um seinen Film „kulinarisch“ zu machen, konsumierbar auch für ein Publikum, das mit kommunistischer Agitation allein nicht ins Kino zu bringen ist. Denn auf diese läuft der Film in der zweiten Hälfte bewußt hinaus. Die parteilich organisierten kommunistischen Volksfreunde und Märtyrer fungieren hier genau so als Sympathieträger wie die Bauern und Landarbeiter der ersten Filmhälfte, während den Faschisten in etwa die Fortführung der Rolle der unmenschlichen, arbeitsscheuen oder perversen Feudalherren zukommt.

Mit dieser plakativen Tendenz und dem Großeinsatz von roten Fahnen und Tüchern macht sich Bertolucci sicher auch dem einfachen Kinobesucher verständlich. Hätte der Regisseur zu seinem beachtlichen Einsatz formaler Qualitäten noch politische Distanz und Objektivität gefügt, so wäre „1900“ sicher ein Meisterwerk der Kinematographie geworden.

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