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Niemand außer Ignoranten und Geschäftemachern wird heute noch leugnen, daß der Film eine eigenständige Kunstform ist, deren Prinzip auf der Montage bewegter Bilder beruht. Als künstlerisches Medium besitzt der Film das Recht, andere Kunstformen aufzunehmen und in eigenständiger stilgerechter Weise wiederzugeben, wobei das Grundmaterial, die Ausgangsform, stilgerecht verändert werden kann, beziehungsweise muß — man findet dasselbe Beispiel bei der Musik (wenn zum Beispiel Verdi in seinem „Othello” oder „Don Carlos” den Shakespeare- und Schiller-Text verändert), bei der Malerei usw.; warum sollte man es daher dem Film zum Vorwurf machen, wenn er eine literarische Vorlage in seinem Sinn „aufbereitet” oder deutet? (So kann man also auch schwer Walt Disney einen Vorwurf machen, wenn er versucht, Musik in Form und Farbe filmisch zu interpretieren wie in „Fantasia”!) Berühmte Regisseure wie Welles, Oliver, Bunuel usw. haben ihre eigenen filmischen Gedanken nach berühmten Literaturvorlagen frei gestaltet — das Ergebnis war ein neues filmisches Kunstwerk. Diese Gedanken seien drei Filmen vorangestellt, die in dieser Woche hiezu Anlaß geben.

Maximilian Schell hat als erste eigene Filmregieärbeit elfte Novelle Turgenjews bearbeitet, „Erste Liebe”, um an Hand des ersten Liebeserlebnisses eines Sechzehnjährigen eine politisch hochaktuelle Parabel über den Verfall und die Dekadenz der Gesellschaft und einer daraus notwendig folgernden Revolution aufzuzeigen, ohne daß die Poesie und Sinnlichkeit der Vorlage verlorengegangen ist. Dank Schells künstlerischer Verdichtung, des Kameramannes Sven Nykvist lyrischkunstvoller Bildgestaltung und unerhört einfühlsamer Darstellerleistungen einer typmäßig hervorragend ausgewählten Schauspielerbesetzung bleibt sowohl die literarische Bedeutung der Dichtung Turgenjews bestehen als auch das Werk eine zeitgemäße Aussagekraft erhalten hat, die dem Film als selbständige Kunstform gerecht wird. Bernardo Bertolucci, ein junger, stark politisch engagierter italienischer Filmregisseur, nahm Alberto Moravias Roman „Der Konformist” (ro-ro-ro-Taschenbuch 766/767) über den Lebenslauf eines Sadisten wider Willen, der sich im Bekenntnis zum Faschismus vom Fluch seiner Anomalität zu befreien glaubt, zum Anlaß für eine vorwiegend politische Polemik über den „alltäglichen Faschismus”. Auch in „Der große Irrtum” (so lautet der Filmtitel) geht es dem Regisseur darum, aufzuzeigen, daß das Bürgertum keine Rettung, keinen Ausweg hat. Und dennoch ist damit die Tendenz der literarischen Vorlage verfälscht worden: Moravia lag und liegt mehr an der psychologischen Parabel, der sexuellen Problematik (die Bertolucci nur in der allerletzten Szene des Films klar werden läßt); wenn auch das filmisch faszinierende, aber sich nur schwer offenbarende Werk größte cinematographische Qualitäten besitzt, wird es dem Urstoff nicht gerecht.

Während beide Beispiele dokumentieren, daß ein künstlerisches Medium wohl von einem anderen verwendet und künstlerisch neuinterpretiert werden kann, beweisen die beiden zu einem überlangen Film zusammengezogenen Teile eines zehnstündigen, JEpos über den sowjetischen „Größen Vaterländischen Befreiungskrieg” (in fünf Einzelfllmen vorgesehen) „Feuerbogen und Durchbruch” nur, daß die Wirklichkeit zwar dokumentarisch, aber nicht flktiv-spielfilmmäßig rekonstruierbar ist. Selbst der gewaltigste Materialverbrauch zur Darstellung der größten Panzerschlacht des zweiten Weltkriegs wird auf die Dauer langweilig und hinterläßt keinerkei Emotion (von der wachsflguren- getreuen Nachbildung historischer Persönlichkeiten wie Churchill, Roosevelt, Hitler, Mussolini und anderen ganz abgesehen) — das Ergebnis ist ein heroisch-pathetisches Bilderbuch ohne Leben …

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