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Frankreichs Sorgenkind Korsika
Korsika ist für die französische Regierung zu einem bedenklichen Gefahrenherd geworden. Mit Hunderten von Anschlägen machte in letzter Zeit eine terroristische Gruppe auf sich aufmerksam.
Korsika ist für die französische Regierung zu einem bedenklichen Gefahrenherd geworden. Mit Hunderten von Anschlägen machte in letzter Zeit eine terroristische Gruppe auf sich aufmerksam.
Die Zielscheibe der sich „Nationale Front zur Befreiung Korsikas“ (F.N.L.C.) nennenden terroristischen Gruppe sind neuerdings vor allem die auf der Insel arbeitenden Franzosen des Festlandes, Lehrer, Beamte, freie Berufe, Kaufleute usw. Mit Drohbriefen will sie außerdem eine sogenannte revolutionäre Steuer einkassieren. Ein Tierarzt, der
diese Erpressung mehrmals zurückgewiesen hatte, wurde von einem Strafkommando mit Maschinenpistolen angegriffen und verletzt.
Die politischen Ziele der korsischen Separatisten sind klar: Ver- jagung aller nicht korsischen Franzosen und „Dekolonisierung“ der Insel. Daß deren Existenz in den letzten Jahrzehnten nur durch erhebliche Subventionen aus der französischen Staatskasse gesichert werden konnte, läßt diese Extremisten gleichgültig.
Als Mitterrand Mitte 1981 seine Präsidentschaft antrat, verkündete er eine Amnestie für alle wegen terroristischer Umtriebe verurteilten oder angeklagten Korsen. Die Insel erhielt ein Sonderstatut mit einer begrenzten lokalen Autonomie.
An der Wahl ihrer ersten Regionalversammlung im August letzten Jahres durften sich alle politi-
sehen Gruppen und Tendenzen einschließlich der Separatisten beteiligen. Jene forderten jedoch ihre Anhänger zur Stimmenthaltung auf. Eine autonomistische Liste, angeführt von einem ehemaligen korsischen Terroristen, der einige Jahre in französischen Gefängnissen verbracht hatte, erzielte einen bescheidenen Achtungserfolg, während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung den traditionellen Parteien treu blieb.
Unmittelbar nach dieser Wahl nahmen die Separatisten den Kampf wieder auf, weil sie die Zugeständnisse der französischen Regierung für ungenügend hielten. Auf höchste Anweisung ließ sie die Polizei gewähren und verzichtete daher auf durchaus möglich gewesene Verhaftungen.
Paris rechnete damit, daß die separatistische Welle schließlich im Sande verläuft und an der Abneigung einer durch die liberale Regierungspolitik befriedigten Bevölkerung scheitert. Dies war eine naive Hypothese und ein politischer Irrtum. Er wurde am Jahresende durch die Entsendung eines im Kampf gegen die schwere Kriminalität bewährten Polizeikommissars und eines Sonderkontingents der Gendarmerie korrigiert.
Die französische Regierung dürfte weiterhin die sich mit dem korsischen Separatismus verbindenden Gefahren unterschätzen. Gewiß, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Insel lehnt die Terrormethoden ab und
wünscht die schnelle Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit. Ferner denkt sie nicht im entferntesten an eine Trennung Korsikas von Frankreich.
Die Terroristen sind aller Wahrscheinlichkeit nach nur eine kleine Minderheit und dürfen daher zumindest theoretisch als Außenseiter der korsischen Gemeinschaft betrachtet werden. Dies ändert jedoch nichts daran, daß sie ohne Zweifel über eine sehr leistungsfähige Organisation verfügen und in der Lage sind, sowohl auf Korsika wie auf dem französischen Festlande weiter
hin Unheil zu stiften.
Ob und wie weit sie über internationale Querverbindungen Geld und Waffen erhalten, konnte bisher nicht genau ermittelt werden. Der Verdacht ist berechtigt, denn korsische Extremisten leisten gelegentlich in Frankreich italienischen und deutschen Terroristen Hilfsdienste. Einige Spuren führen ferner nach Nahost und nach Libyen.
Man muß aber auch feststellen, daß der verwendete Sprengstoff einwandfrei französischen Ursprungs ist. Falls es internationale Drahtzieher geben sollte, dürf
ten sie keine entscheidende Rolle spielen.
Die Stützpunkte der Separatisten befinden sich vorwiegend auf Korsika selbst. Zunächst gibt es eine legale nationalistische Bewegung, deren Ziele sich mit denjenigen der Terroristen decken. Sie weist zwar jede Verantwortung für die Attentate zurück, desavouiert jedoch keineswegs die extremistische F.N.L.C.
Besonders am Herzen liegt einer erheblichen Zahl von Korsen die Anerkennung ihrer kulturellen Identität. Es handelt sich hierbei um einen äußerst nebelhaften Begriff, dessen angestrebte politische Auswirkungen noch nie erläutert wurden.
Hinzu kommt der weitverbreitete Wunsch nach Beschäftigung einer größeren Zahl von Korsen in der Verwaltung und auch im Handel, obwohl es chronisch an Anwärtern mangelt, da es die hierfür geeigneten Korsen vorziehen, auf dem Kontinent unter günstigeren Bedingungen zu arbeiten.
Das schwierigste Hindernis für die Isolierung und Neutralisierung der Terroristen ist der korsische Sippengeist. Die Solidarität innerhalb der verzweigten Familien, der Clans, ist unter Ausschaltung aller politischen oder moralischen Erwägungen eine absolute Pflicht. Wenn auch der Großteil der Bevölkerung die Attentate ehrlich verurteilt, stößt doch sofort eine energische und wirkungsvolle Polizeiaktion mit den unumgänglichen Verhaftungen auf eine breite Opposition in der gleichen Mehrheit der Einwohner.
Selbst den Anhängern der jetzigen Oppositionsparteien, die auf der Insel ein nicht geringes politisches Gewicht besitzen, während dort die Sozialisten nie richtig Fuß fassen konnten, steht das korsische Hemd näher als die französische Jacke. Paris zahlt die Rechnung für zwei Jahrhunderte Zentralismus. Man versteht unter diesen Umständen das zögernde Vorgehen der Staatsgewalt.
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