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Für die Regierung ist der „Figaro” mehr als ein Sprachrohr

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Nach der heißen Schlacht bei den letzten französischen Kommunalwahlen rechnete ein Großteil der Bürger und Wähler fest mit einer Erholungspause vor den Legislativwahlen im März 1978. Doch derartige Erwartungen auf seiten der Bevölkerung wurden von den Parteistrategen keineswegs berücksichtigt. Die Diskussion um die Erneuerung des Parlaments wurde sofort wieder entfacht und die V. Republik sieht sich schon jetzt in einen neuen Wahlkampf getrieben, der von Tag zu Tag schärfere Formen annimmt. So werden in diesen Monaten vor allem die verschiedenen Massenmedien daraufhin untersucht, wie weit sie für die eine oder andere Partei von Nutzen sind. Die linke Union beschuldigt die Regierung, ein Monopol für das Fernsehen zu besitzen, während Sozialisten und Kommunisten die Mattscheibe nur in beschränktem Maße für ihre Sendungen beanspruchen könnten. Dieser Vorwurf ist nur sehr bedingt gerechtfertigt, denn auch der Opposition sind sichere Sendezeiten zugeweisen.

Die politischen Parteien nehmen überdies Kontakte mit den maßgebenden Tages- und Wochenzeitungen auf, um deren Sympathien zu ergründen. Obwohl die Majorität schon seit 20 Jahren an der Macht ist, hat sie es nie zur Herausgabe einer eigenen Tageszeitung gebracht. Fast alle Pariser Blätter, an ihrer Spitze die bekannteste Zeitung Frankreichs, „Le Monde”, widmen sich mehr oder weniger diskret den Interessen der Linksparteien.

Die Sozialisten bedienen sich seit einigen Wochen einer sehr gut redigierten Zeitung namens „Der Morgen”. Die kommunistische Partei verfügt nach wie vor über die „Humanite”, die allerdings permanent mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat und die KPF immer wieder zu finanziellen Injektionen zwingt.

Die Regierung ihrerseits konnte nur mit der Unterstützung einer einzigen Pariser Tageszeitung rechnen (in der Provinz liegen die Verhältnisse ein wenig günstiger für die Mąjoritat). Es handelt sich in Paris um die älteste Zeitung Frankreichs, den „Figaro”. Er vertrat konsequent das mittlere und höhere Bürgertum und präsentierte eine aufgeschlossene, konservative Haltung. Anläßlich der Bildung von Komitees zur Verteidigung des Mittelstandes, zu Beginn der fünfziger Jahre, spielte „Le Figaro” eine ausschlaggebende Rolle. In seiner langjährigen Geschichte gab es selbstverständlich auch eine Reihe von Krisen, aber diese konnten bisher stes gemeistert werden. Doch in den ersten Junitagen dieses Jahres glitt „Le Figaro” abermals in den Umkreis heftiger Auseinandersetzungen, die nunmehr den Fortbestand des Blattes ernsthaft bedrohen.

Zum Verständnis der Situation bedarf es eines Blicks in die Vergangenheit. Als die deutschen Truppen 1940 in Paris einmarschierten, flüchteten der Chefredakteur des „Figaro” und seine Mitarbeiter in die unbesetzte Zone Frankreichs. Als die deutschen Truppen dann auch die unbesetzte Zone überrollten, zog Chefredakteur Brisson die Konsequenzen und stellte die Herausgabe der Zeitung ein. Sobald die Befreiung Frankreichs gelungen war, verbot die Provisorische Regierung alle jene Zeitungen und Zeitschriften, die nach dem deutschen Einmarsch unbehelligt erschienen waren. Dieser Verfügung fiel sogar „Le Temps” zum Opfer. Pierre Brisson dagegen, dessen Einstellung während des Krieges von keinem wie immer gearteten Versuch derKollabora- tion beeinflußt gewesen war, erhielt dieser seiner tadellosen Haltung wegen von der Regierung ein kostbares Geschenk. Eine Verordnung wurde erlassen, derzufolge sich die Besitzer des „Figaro” nie wieder in die redaktionelle Gestaltung des Blattes würden einmischen dürfen. Die Eigentümer des „Figaro” stellten die Position des Chefredakteurs Brisson denn auch niemals in Frage. Unter der Leitung dieses großen Jormalisten wurde „Le Figaro” neuerlich ein geistiger Mittelpunkt, der die wichtigsten neoliberalen und konservativen Kräfte der Nation um sich versammelte. Raymond Aron, weltbekannter Soziologe und Geschichtsphilosoph, wurde ständiger Mitarbeiter, vor drei Jahren sodann Chef der politischen Abteilung des Blattes. Nach dem Tode Brissons trat das Mitglied einer der großen französischen, aus dem diplomatischen Dienst weithin bekannten Familien - Jean d’Ormesson - als Nachfolger in Brissons Fußstapfen.

Schließlich kaufte Jean Prouvost, ein Zeitungszar der einstigen III. Republik, die Mehrheitsanteile und führte den „Figaro” in eine schwere finanzielle Krise, der mehr als 80 Jahre alte Industrielle mußte sich von den Geschäften zurückziehen. Er bot das Blatt zum Verkauf an, doch fanden sich der finanziellen Misere wegen fast keine Interessenten. Nur eine einzige Persönlichkeit zeigte sich bereit, die schwere Bürde eines Herausgebers des „Figaro” zu übernehmen. Es war dies der Abgeordnete - er gehört der Reformpartei an - Robert Hersant, der in den letzten 15 Jahren ein Imperium, bestehend aus Zeitungen und Publikationen aller Art, geschaffen hat. Nachdem der Kauf perfekt geworden war, sahen sich einige der wichtigsten Redakteure des „Figaro” im Gewissen verpflichtet, zu kündigen.

Wie vorauszusehen, gab es alsbald Differenzen zwischen Jean d’Ormesson und dem neuen Besitzer, der im Sinne der einstigen Regierungsverordnung keine einzige von ihm selbst verfaßte Zeile in der eigenen Zeitung hätte publizieren dürfen. Robert Hersant war nicht gesonnen, diese Tradition zu respektieren.

Wie weit gehen die Prärogativen eines Zeitungsherausgebers und welcher Natur sind die Beziehungen zwischen ihm und dem Chefredakteur? Es handelt sich, wie man sieht, um ein sehr komplexes Problem, das nur mit außergewöhnlichem Takt gelöst werden kann. Jedenfalls ist Hersant jetzt gezwungen, gleichzeitig den Herausgeber und den Chefredakteur zu spielen. Aber wie lange wird er diese doppelte Funktion ausüben können? In Kreisen der Politiker und der Massenmedien wird gemunkelt, daß am „Figaro” bereits der Totenwurm nage. Für die Regierung würde ein Zusammenbruch dieser Zeitung einen schweren Schlag bedeuten, denn damit entgleitet ihr das wichtigste Sprachrohr, das sie in Paris besitzt.

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