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Das teure Blatt der Bourgeoisie

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Im allgemeinen ist es die Aufgabe einer Tageszeitung, nationale und internationale Ereignisse verschiedenster Natur zu kommentieren, sowie Informationen aller Art zu publizieren. Nur in seltenen Fällen wird die Redaktion veranlaßt, in eigenen Angelegenheiten die Leser auf gewisse Vorfälle innerhalb des Blattes aufmerksam zu machen. Studiert man die Pariser Gazetten, so fällt seit Wochen auf, in welchem Umfang gegenwärtig diese Massenmedien persönliche Probleme analysieren. Denn seit mehr als drei Monaten ist die Pariser Presse in eine schwere Krise geraten, die selbst vor bestfundierten Zeitungsunternehmen nicht halt macht.

Waren 1974 besonders die auflageschwachen Zeitungen bedroht, wie „La Croix“ und „Combat“, so befanden sich Mai/Juni 1975 die drei einflußreichsten Blätter der Metropole in Schwierigkeiten. Dies gilt vor allem für den „Figaro“, die älteste Publikation Frankreichs, die mit den Regimen dreier Republiken eng verbunden war. Mit 550.000 Exemplaren pro Tag kann der „Figaro“ beanspruchen, Sprachrohr einer Bourgeoisie zu sein, die infolge der gesellschaftlichen Mutierungen der Gegenwart teilweise in Auflösung begriffen ist. Trotz der gesellschaftspolitischen Veränderungen, die die Leser des „Figaro“ erlebten, konnte er sich der Treue einer großen Zahl von Stammabonnenten erfreuen. Nach wie vor beansprucht die Zeitung ein Monopol für Anzeigen und Familiennachrichten der gehobenen Schicht, und für Inserate des Immobilienhandels, die fast keiner anderen Tageszeitung zugute kommen. Die Annoncen bringen 73 Prozent der Einnahmen.

Die gesellschaftsrechtlichen Statuten des „Figaro“ sind äußerst kompliziert. Seit 1950 führte der legendäre Chefredakteur Pierre Brisson, welcher nach der Befreiung Frankreichs von der Provisorischen Regierung zahlreiche Privilegien erhielt, eine Trennung zwischen der Redaktion und den Kapitalträgern durch. Die langjährige Besitzerin, Madame Cotnareanu, teilte den Inhabertitel mit zwei namhaften Industriellen, Ferdinand Beghin und Jean Prou-vost. Anfang 1965 verkaufte Madame Cotnareanu ihre Anteile, die an Jean Prouvost und Ferdinand Beghin gingen. 1969 verzeichnete man die erste schwere Krise der Zeitungen nach Kriegsende. Die Redaktion rebellierte gegen die Besitzer, die untereinander ebenfalls vollkommen zerstritten waren. 14 Tage lang streikten die Journalisten. Ein provisorischer Verwalter wurde eingesetzt. Zwei Jahre hindurch schwelte die Krise unter der Oberfläche, bis es schließlich zu der jetzigen Konstruktion kam. Kapital und Redaktion haben demnach nichts miteinander zu tun. Ein Direktor leitet souverän die Redaktion und wird vom Aufsichtsrat gewählt. Dem Team Pierre Brisson (jenen Redakteuren nämlich, die in der unbesetzten Zone Frankreichs den „Figaro“ gestalteten) steht das Recht zu, gegen die Wahl eines Direktors Einspruch zu erheben. 1973 kaufte Jean Prouvost die Anteile seines Kollegen und wurde damit der alleinige Inhaber des Blattes. Jean Prouvost, der zur Zeit 90 Lenze zählt, ist

Besitzer einer Reihe bekannter Zeitschriften, unter anderem des vorzüglich aufgemachten „Paris Match“. Aus diesem Zeitungskonzern kamen die Subventionen, die das Defizit des „Figaro“ ausgleichen, denn mit Ausnahme von „Le Monde“ stehen alle Pariser Tageszeitungen in den roten Zahlen. Der Zeitungszar, trotz seines hohen Alters überaus agil, hat niemandem in die finanzielle Gestion des „Figaro“ Einblick gestattet. Aus gewissen Hinweisen ist zu schließen, daß die Gestehungskosten der Zeitung jährlich 283 Millionen betragen, denen gegenüber ein Umsatz von 281 Millionen steht.

Im Februar 1974 wurde in der Person Jean d'Ormessons, des Sprößlings einer bekannten Diplomaten- und Journalistenfamilie, ein neuer Direktor bestellt, der mit beachtlichem Dynamismus das äußere und innere Bild des „Figaro“ modellierte. Zu Beginn dieses Jahres gab der Besizer bekannt, er wolle seine

Anteile verkaufen. War es das hohe Alter, das ihn zu diesem Schritt ver-anlaßte oder das Heranrücken einer neuen schweren Krise? In der gegenwärigen Situation der französischen Wirtschaft ist es nicht leicht, Kapitalien zu finden, die dem „Figaro“ eine finanzielle Stabilität gewähren könnten. Verschiedene Interessenten wurden auf der Gerüchtebörse gehandelt. So unter anderen Jean-Jacques Servan-Schreiber, Direktor des Wochenmagazins „Express“ und Präsident der Radikalsozialistischen Partei. Schon seit langem beschäftigt sich dieser wendige Manager mit dem Plan, eine Tageszeitung auf den Pariser Markt zu bringen. Da die Redaktion des „Express“ überbesetzt ist, wollte J. J. S. S. einen Teil seiner Mitarbeiter anderweitig verwenden. Allerdings zog sich Servan-Schrei-ber aktiv schnell von den Verhandlungen zurück. Auch andere Industrielle, wie die jetzigen Besitzer des Kosmetikkonzerns „l'Oreal“ zögern, in fixe Verkaufsgespräche einzutreten. So blieb eine der umstrittensten Persönlichkeiten der französischen Zeitungsbranche,

Robert Hersant, übrig, der am 1. Juli offiziell die Anteile Jean Prouvosts erwarb. Damit betritt ein Mann die Szene des Pariser Zeitungsmarktes, der in jeder Beziehung als zwielichtig bezeichnet werden kann. Abgesehen von rein persönlichen Momenten — er versucht, seine innenpolitische Position zu stärken —, wird hier eine Zeitungskonzentration gewaltigen Ausmaßes vorbereitet. Der Käufer besitzt bereits zahlreiche einflußreiche Provinzzeitungen, darunter die wichtigste Tagespublikation der Normandie, „Paris-Normandie“.

Der 1920 geborene Robert Hersant mußte nach Kriegsende mit einem beachtlichen Handikap rechnen. Er war nämlich während der Besatzungszeit Führer einer vichy-freundlichen Jugendorganisation. Der Vorwurf, kollaboriert zu haben, wurde oft vorgebracht und steigerte sich 1956 zu einer erregten Debatte im Parlament. Hersant hatte sich als Kandidat einer Zentrumspartei aufstellen lassen, wurde sogar gewählt, aber die Mehrheit des Palaments sprach ihm die Würde ab, als Volksvertreter zu fungieren. Wie mancher andere Schöpfer eines Industrieimperiums begann der neue Besitzer des „Figaro“ klein, als Händler für Autoreifen und Motorräder. Man konnte Robert Hersant einen gewissen Genialismus nicht absprechen, als er 1950 die Zeitschrift „Auto-Journal“ begründete. In diesem Blatt kritisierten Experten sämtliche Fehler und Mängel der Automobilwerke und stellten sich rückhaltslos den Interessen der Konsunienten zur Verfügung. Das „Auto-Journal“ wurde somit die Grundlage des Zeitungskonzerns. Systematisch kaufte Hersant Provinzzeitungen auf, die sich in Schwierigkeiten befanden. Er verstand so geschickt, Gewinn und Verlust zu verteilen, daß er in den Ruf kam, der klügste Finanzmann für notleidende Presseerzeugnisse zu sein. Sehr bald stieß Hersant auf die Gegnerschaft der Redakteure, die sich vielfach übergangen und ausgeschaltet fühlten. Als er 1972 „Paris-Normandie“ erwarb, kam es bereits zu einer heftigen Krise zwischen ihm und den dort angestellten Journalisten. Robert Hersant war nicht gewillt, sich seine Rechte von den Redaktionen beschneiden zu lassen.

Inzwischen war es ihm geglückt, trotz der früheren Widerstände, ins Parlament zu kommen und verschiedene Wahlgänge bestätigten ihn als Abgeordneten. Er gehört gegenwärtig der Reformbewegung an, ist jedoch als Abgeordneter niemals aufgefallen und vermochte sich als Parlamentarier kaum zu profilieren.

Der Direktor des „Figaro“, Jean d'Ormesson, hat Ende Juni in einem langen Leitartikel von zahlreichen Fehlern gesprochen, die der neue Besitzer aufweise. Aber, wie Jean d'Ormesson richtig bemerkte, es fand sich kein anderer ernsthafter Käufer, der die Millionen für die Anteile Prouvosts hätte auf den Tisch legen können. Die Redakteure fürchten um ihre seit Jahren praktizierte heilige Unabhängigkeit gegenüber dem Kapital. In zahlreichen Kundgebungen drückten sie ihr Mißbehagen gegenüber dem jetzigen Herausgeber aus und lähmten am 2. Juli durch einen Streik das Erscheinen des Blattes. Nachdem die Druckereigewerkschaft bereits mehrfach durch Arbeitsniederlegungen sämtliche Pariser Zeitungen blockiert hat, ist dieser Konflikt beim „Figaro“ ein weiteres Alarmzeichen dafür, daß die französische Presse von schweren moralischen, finanziellen und sozialen Spannungen heimgesucht ist. Niemand kann vorläufig prophezeien, wie sich in Zukunft das älteste Massenmedium Frankreichs präsentieren wird.

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