6880477-1979_08_03.jpg
Digital In Arbeit

Geopolitik zwischen Teheran und Hanoi

Werbung
Werbung
Werbung

Zu den Standardrätseln, die sich aus internationalen Ereignissen, wie dem Umsturz im Iran, der „Strafaktion“ chinesischer motorisierter Verbände in Vietnam und ähnlichen politischen Bewegungen ergeben, zählt die schlichte Frage: „Cui bono?“ Wem nützt .die Veränderung?

Müht man sich um eine deutliche Erhellung der Hintergründe weltpolitischen Geschehens, hat man jene Disziplin zu konsultieren, die sich hinter dem Begriff der „Geopolitik“ verbirgt. Was ist Geopolitik? Sie ist die Beziehung der politischen Mächte zu den geographischen Gegebenheiten.

Will man etwa den Einfluß der Sowjetunion und ihr „Interesse“ im Reiche der Perser verstehen, so bieten sich Lösungsmodelle an, die geradezu verblüffen. Wie Colin S. Gray in seiner umfassenden Studie „The Geopolitics of the Nuclear Era: Heart-lands, Rimlands and the Technologi-cal Revolution“ (New York 1978) darlegt, die von der „österreichischen Militärischen Zeitschrift“, 1/1979 als Kurzfassung publiziert wurde, sind die politischen Beziehungen zwischen den beiden Hauptmächten in Ost und West als langer Kampf zwischen dem insularen Imperium der USA und dem Herzland-Imperium der UdSSR um die Kontrolle oder deren Verhinderung über die eurasisch-afrikanischen Randländer zu verstehen.

Eurasien-Afrika als Weltinsel ist von den Staaten des äußeren Halbmondes, den beiden Amerika und Australien umgeben. Zwischen der Macht im Herzland und dem maritimen Imperium hegen die „Randländer“ von Eurasien-Afrika und das Randmeer, das die Küsten der Randländer umgibt. Geopolitische Grundfakten bestehen also

• in der Schlußfolgerung: eine lang-dauernde Kontrolle über die Weltinsel Eurasien-Afrika durch eine einzige Macht würde deren Kontrolle über die Welt bedeuten;

• in der Konkretisierung auf die Ereignisse im Iran: Landmacht und Seemacht stoßen in den eurasisch-afrikanischen Randländern und den Randmeeren aufeinander. Die Kontrolle dieser Randländer und Randmeere durch eine insulare Macht würde nicht deren Kontrolle über die Weltinsel bedeuten, aber eine eventuelle Hegeminie der Herzland-Macht verhindern;

• in der strategischen Absicht: Einen Vorteil in der Rivalität mit den

USA könnte die Sowjetunion durch eine militärische Unterwerfung, durch einen mißverständlich als „Finnlandisierung“ bezeichneten Vorgang oder durch die Kontrolle über die wesentlichen Energiequellen Westeuropas erreichen. Diese bestehen vor allem in den Ölvorkommen im Mittleren Osten, v. a. im Iran und der saudiarabischen Halbinsel.

Für die UdSSR ist das geopolitische Verhältnis gegenüber den Randländern nur in Europa eher vorteilhaft, im Fernen Osten und in Südostasien eher ungünstig. Vietnam bedeutet für Moskau ein nahezu unlösbares Problem.

Colin S. Gray reduziert die bestimmenden charakteristischen Faktoren der auf Geographie und Geschichte basierenden politischen Verhaltensweisen der Sowjetunion:

1. Für sowjetische Politiker kann es keine stabilen Machtbeziehungen geben. Ideologie und russische Geschichte begründen eine dynamische Schau der „Verhältnisse zwischen den Mächten“.

2. Es ist offen, ob die Expansion als urtümliches russisches Verhalten, die den Pazifik, nicht jedoch den Atlantik erreicht hat, sich auf Dauer mit der bisherigen politisch-militärischen Trennungslinie zwischen dem Herzland und Eurasien-Afrika beschränken wird.

3. Die ideologisch bedingte Verpflichtung zur Ausbreitung des Kommunismus besteht unveränderlich weiter.

4. Die zaristisch-russische und die sowjetrussische innen- und außenpolitische Erfahrung ist von besonderer Härte gekennzeichnet. Militärische Stärke war stets der Weisheit letzter Schluß in Petersburg und Moskau.

Nur so wird einsichtig, warum die UdSSR ihre traditionelle Beschränkung als eurasische Landmacht überschreiten will Ihre Seestreitkräfte befahren alle Meere und vermögen allmählich alle eurasisch-afrikanischen Randländer auszu-flankieren. Dies bedeutet zwar nicht, daß die UdSSR die Randmeere von Eurasien und Afrika absolut zu kontrollieren imstande ist.

Aber es demonstriert sehr wohl die Tendenz der sowjetrussisch-maritimen Aktivitäten, über alle Kategorien der Seemacht, die westliche Interessen bedrohen könnten, zu verfügen: ein Hinweis auf das Streben des Kremls nach dem globalen Endziel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung