6922336-1981_49_09.jpg
Digital In Arbeit

Gott im Aphorismus

19451960198020002020

Der Autor, evangelischer Oberkirchenrat in - Wien, untersucht die Frage, wie sich die Wahrheit gerade durch die literarische Form des Aphorismus offenbart und entdeckt, daß die Aphoristiker im Geiste Jesu schreiben.

19451960198020002020

Der Autor, evangelischer Oberkirchenrat in - Wien, untersucht die Frage, wie sich die Wahrheit gerade durch die literarische Form des Aphorismus offenbart und entdeckt, daß die Aphoristiker im Geiste Jesu schreiben.

Werbung
Werbung
Werbung

In Bert Brechts Kalendergeschichten fragt einer einen gewissen Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagt:

„Ich rate dir nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, daß ich dir sage, du hast schon entschieden: Du brauchst einen Gott.“

Damit stellt Herr K. die Gottesfrage an den Platz, wo sie für den pragmatisch denkenden Menschen des 20. Jahrhunderts sinnvollerweise stehen muß.

Ist Verhaltensänderung erwünscht, mehr noch: vielleicht Bedingung für den Fortbestand menschlichen Lebens auf diesem Planeten? Diese Frage mit „Nein“ zu beantworten, gilt als ethische Ketzerei, darin sind sich progressive und konservative Christen durchaus einig. Ohne eine sterke Motivation scheint aber solche Verhaltensänderung nicht auszukommen. Und für diese Motivati-

on gibt es kein radikaleres Wort als Gott.

Der Glaube an Gott läßt sich also wohl mit Sehnsucht nach Verhaltensänderung beschreiben. Theologie wäre dann die intellektuelle Konkretion dieser schöpferischen Sehnsucht. Wen mag ės da verwundern, daß es gegenwärtig eine Fülle solcher Theologien gibt?

Gegen gewisse Vorstellungen in den meisten Religionen muß wohl gesagt werden, daß Gott weder Bibeln noch Bekenntnisschriften noch Dogmatiken vom Himmel fallen läßt. Gerade die Offenbarungserlebnisse inspirierter Menschen aller Zeiten zeigen, daß sich Gott — wenn er sich offenbart — auffällig kurz, prägnant, j a provozierend und originell ausdrückt.

Und diese Art zu sprechen wird aphoristisch genannt. Wenn von daher versucht wird, von einer „Theologie des Aphorismus“ zu sprechen, so heißt das eben von der Menge der tradierten Wörter zu den geoffenbarten Worten zu gehen.

Zu den geoffenbarten Worten zu gehen meint grundsätzlich die Struktur göttlichen Redens und menschlichen Antwortens zu untersuchen. Und diese Struktur ist offensichtlich die des Aphorismus. Stanislaw Jerzy Lee sagt:

„Von der Mehrzahl der Werke bleiben nur die Zitate übrig. Ist es dann nicht besser, von Anfang an nur die Zitate aufzuschreiben?“

Theologie des Aphorismus ver-

zichtet auf das große Denkgebäude - und damit wohl auf Ideologie — zugunsten einer kleinen Offenbarung. Damit muß sie wohl dem Problem von Sprache und Interpretation einen besonders großen Raum geben.

Jesus von Nazareth spricht zum Pharisäer Nikodemus: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst seine Stimme, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist.“

Der aphoristische Stil als die Sprechweise Gottes, der alttesta- mentlichen Propheten und Jesu Christi legt die Vermutung nahe, es sei die Art und Weise, wie eine höchst exklusive Minderheit sich vermitteln würde — vielleicht vermehrt durch einige illustre Geister der Menschheitsgeschichte.

Ganz brutal vertritt Egon Friedeil eine aristokratische Haltung in Glaube und Kultur: „Religion ist niemals eine Sache der Gemeinsamkeit und Gemeinschaft. Religion ist eine aristokratische Angelegenheit. Man kann in Massen Steine klopfen und im Variete sitzen, man kann in Massen fressen und saufen, politisieren und Menschen umbringen, aber man kann nicht in Massen Gott verehren, sowenig wie man in Massen lieben kann.“

Würde das vordergründig so stimmen, so wäre natürlich der aphoristische Stil auf kleine Zirkel von Propheten und Dichtern beschränkt, eine Gruppe also, die das entwickelt hat, was Robert Musil den Möglichkeitssinn nennt.

Doch wie verhalten sich eigentlich die Aphoristiker zueinander?

„Die großen Aphoristiker lesen

sich so, als ob sie alle einander gut gekannt hätten“, sagt Elias Canetti.

Ihr geradezu kulinarischer Umgang mit der Sprache hat sie ja mit einer Hellhörigkeit versehen, ohne die kein Prophet auskommt. Und gerade weil sie über ein schier grenzenloses Sprachver- mögen verfügen, sind sie sich der Grenzen von Sprache und Sprechen bewußt.

Diese Erfahrung beweist eindrücklich die Ökumene der Aphoristiker. Egon Friedell: „Die wirklichen Erlebnisse liegen im Gebiet des Unausgesprochenen und Unaussprechlichen. Was sich sagen läßt, kann niemals ganz wahr sein. Kleide einen Gedanken in Worte, und er verliert alle Bewegungsfreiheit. Unser Wissen ist allemal besser als unsere Rede.“

Die aphoristische Redeweise ist nicht deshalb so knapp, splitterbruchstückhaft, weil etwa die Aphoristiker zu faul oder zu unfähig wären, große Denk- und Wortungetüme zu errichten, sie wissen nur längst, daß man auch aus Worten einen babylonischen Turm errichten kann.

Wie der Apostel Paulus erkennen sie, daß alles Wissen Stückwerk ist und daher in Satzfetzen besser aufgehoben als in Dogmatiklehrbüchern. Aphorismus — auf deutsch „Abgrenzung“ — will eben nicht ein Stückchen Wahrheit in einem Meer von Lüge ertränken. Die Weise des Aphoristikers, von der Wahrheit nur in Andeutungen zu sprechen, bedeutet folglich nicht, die Grenzen des Sagbaren zu eng zu ziehen, sondern die äußersten Grenzen der Sprache erreicht zu haben. Zuweilen reißt der Nebel aller Vorläufigkeit auf, ein Stück ewiger Wahrheit fährt wie ein Blitz in ihn. Staunend spricht der Aphoristiker diesen Satz nach und weiß selbst nicht recht, wie er zu ihm gekommen ist. Doch den Satz erklären, heißt, ihn in gewisser Weise zerstören. Das ist nicht Resignation vor der Leistungsfähigkeit der Vernunft, sondern die Erkenntnis, daß der Aphorismus sehr oft die Zukunft in prophetischer Weise vorwegnimmt und dann Schwierigkeiten mit der Gegenwart bekommt. Karl Kraus:

„Ein Paradoxon entsteht, wenn eine frühreife Erkenntnis mit

dem Unsinn ihrer Zeit zusammenprallt.“

Peter Altenberg:

„An seinen Idealen zugrunde gehen können, heißt lebensfähig sein.“

Jesus von Nazareth:

„Wer sein Leben zu erhalten versucht, der wird es verlieren, und wer es verliert, der wird es gewinnen.“

Der Kirchenvater Tertullian: „Gekreuzigt wurde der Gottessohn; das ist keine Schande, weil es eine ist. Und gestorben ist der Gottessohn — das ist glaubwürdig, weil es ungereimt ist. Und begraben ist er auferstanden — das ist ganz sicher, weil es unmöglich ist.“

Ein in Kopenhagen erscheinendes Kirchenblatt:

„Und Jesus sagte zu ihnen: ,Was sagen die Leute, wer ich sei?* Und sie antworteten: ,Du bist die Manifestation unseres eschatologi- schen Wesensgrundes, die Verkündigung, die sich kundtut im Konflikt und im Ablauf des Har- monisierungsprozesses.* Und da sagte Jesus: .Waaaaas bin ich? — Er hingegen — Aphoristiker, der er zweifellos war, vermutlich sogar der größte — hatte sich in scheinbarer Schlichtheit bloß als „den Weg, die Wahrheit, das Leben“ bezeichnet.

„Wie halten sie es also mit Jesus?“, oder anders gesagt: Wie müßte eine aphoristische Christologie aussehen? Ein Blick in die Ökumene der Aphoristiker zeigt, daß bei ihnen rein wortstatistisch gesehen die Vokabel „Gott“ ununterbrochen vorkommt, „Jesus“ oder „Christus“ hingegen eher selten, und dann in besonderer Weise. Das hat güte Gründe. Sie wollen selber Gottessöhne bleiben, und haben damit sicher den Propheten Jesaja begriffen:

„So spricht Gott: Ich bin der Herr, dein Gott, und habe mein Wort in deinen Mund gelegt.“ Und Jesus selbst:

„Wer euch hört, hört mich.“ Aber eben nicht als Tonband, sondern in schöpferischer Weise. Trotzdem haben einige Aphoristiker das Gespräch aufgenommen, indem sie heftig und wohl auch spielerisch pointiert entgegnend, in ihm auch den großen Weisheitslehrer verehren.

Jesus sagt:

, „Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat.“

Und Canetti antwortet:

„Am ehesten mag ich Gott als Tolstoi.“

Und Jesus sagt schließlich: „Die Ersten werden die Letzten werden.“

Und Elias Canetti malt sich das aus: „Die Ersten werden dann den Letzten schmeicheln, und es wird vergnüglich sein zu hören, was sie sich ausdenken müssen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung