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Homosexuell mit der Bibel

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Vor einigen Monaten wollten Homosexuelle - Frauen und Männer - in Wien einen ökumenischen Gottesdienst veranstalten. Und so hat man der Reihe nach bei verschiedenen Wiener Kirchen angefragt. Das Ergebnis war: Überall hinausgeworfen. Die refrainartige Antwort: „Bei uns nicht!" Darauf die obdachlosen Veranstalter: „Wieso eigentlich? Viele von uns sind doch überzeugte Christen." Und die frommen Hinauswerfer - in schön ökumenischer Eintracht: „Das ist schön und gut, aber ihr seid eben auch homosexuell!"

Schließlich haben sie Unterschlupf in einer evangelischen Kirche in der Dorotheergasse gefunden - mit Billigung und Beschluß des Presbyteriums, also der, .Pfarrgemeinderegierung".

Wieso war das gerade hier möglich? Natürlich hat es heftige Diskussionen gegeben. Was sagt eigentlich der christliche Glaube zur Homosexualität? Und noch spezieller gefragt: Was sagt eigentlich die Bibel zu dieser Spielart menschlichen Lebens? Kommt Homosexualität überhaupt in der Bibel vor? Das Alte Testament läßt da nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: „Wenn einer bei einem Mann liegt, wie man bei einer Frau liegt, so haben beide einen Greuel verübt. Sie sollen getötet werden. Ihr Blut komme über sie." (3. Mose 20/13)

Da sage noch einmal jemand, die Bibel würde keine klaren Anweisungen enthalten. Man brauchte sie nur noch befolgen. Nur, müßte man dann nicht auch mit allen anderen Sätzen genauso verfahren? Etwa: „Eine Frau soll nicht Männersachen tragen, und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen, denn wer das tut, der ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel." (5. Mose 22/5) Und, gibt es nicht im Alten Testament die Polygamie als eine selbstverständliche Rechtsform?

Aber vielleicht sollte man besser mit dem Neuen Testament argumentieren. Paulus sagt doch ein klares Nein zu praktizierter Homosexualität. (Rom. 1/26-29) Aber sagt er nicht auch „Das Weib schweige in der Gemeinde"? Und wir haben trotzdem evangelische Pfarrerinnen?

Letzter Versuch: Was sagt Jesus dazu? Erstaunlicherweise gar nichts. Aber eines ist jedenfalls auffällig: Sein liebevoller Umgang mit diskriminierten und unterdrückten Menschen. Diese Erkenntnis war entscheidend -und so hat es den „Schwulen-und Lesbengottesdienst" in der Dorotheergasse gegeben.

Ein Lernprozeß im „Jahr der Bibel" gefällig? Daß es um den Geist der Bibel geht und nicht vordergründig um den Buchstaben! Denn, wenn man/frau die Homosexuellenstellen der Bibel wörtlich nehmen will, dann muß man wohl auch glauben, daß die Welt in sechs Tagen entstand und der Hase ein Wiederkäuer ist. (3. Mose 11/6)

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