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In memoriam Erich Fromm

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Der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm ist am 18. März gestorben. Er war zweifellos einer der großen Denker unserer Zeit, suchte nach einem möglichst umfassenden Verständnis der heutigen gesellschaftlichen Situation und wies immer wieder auf die Bedeutung der Transzendenz - allerdings einer Transzendenz ohne Gott - hin.

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Der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm ist am 18. März gestorben. Er war zweifellos einer der großen Denker unserer Zeit, suchte nach einem möglichst umfassenden Verständnis der heutigen gesellschaftlichen Situation und wies immer wieder auf die Bedeutung der Transzendenz - allerdings einer Transzendenz ohne Gott - hin.

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Nur wenige Tage vor der Vollendung seines 80. Lebensjahres ist Erich Fromm in Muralto, einem Villenvorort von Locarno, am Ufer des Lago Maggiore, gestorben. Mit Erich Fromm ist der wohl letzte jener großen alten Männer von uns gegangen, die in ihrem Leben und in ihrem Werk die visionäre Kraft alttestamentarischer Tradition, den Geist europäischer Aufklärung und das humanistische Pathos des revolutionären Sozialismus glaubwürdig verkörpert haben.

Sozialpsychologe von hohen Graden - ein scharfsinniger Psychoanalytiker, war er einer der ersten, der die Einseitigkeit Freuds erkannte und in einer umfassenden Lehre vom Menschen zu überwinden trachtete; als radikaler Humanist im Sinne des jungen Marx, den er zeitlebens glühend verehrte, war er auch ein wenig Idealist. Der Religionskritiker war zugleich homo religiosus aus dem Geist abendländischer und fernöstlicher Mystik.

Ein unbestechlicher Kritiker unserer modernen Konsum-, Uberfluß-und Wohlstandsgesellschaft, ein unermüdlicher Warner vor der drohenden physischen und psychischen Selbstvernichtung der Menschheit, wußte der Denker und Philosoph Fromm vielleicht als einer der letzten großen Eklektiker unserer Zeit, die östliche und westliche Tradition unbefangen und ohne Rücksicht auf bestehende kulturelle Barrieren des Verstehens miteinander zu verbinden.

Das alles war Erich Fromm, ein echter Liebhaber nicht nur der Weisheit, sondern vor allem auch des Lebens, der mit Recht von sich sagen konnte, ihm sei nichts Menschliches fremd, und der wie kaum ein zweiter die Gründe und Abgründe des menschlichen Herzens und der menschlichen Leidenschaften kannte.

In den letzten Jahren ist Erich Fromm immer mehr als der große Warner vor den Gefahren einer physischen und psychischen Selbstvernichtung der Menschheit aufgetreten. In seinem großen Werk „Anatomie menschlicher Destruktivität" hat er sich ausführlich mit den Ursachen menschlicher Aggressivität auseinandergesetzt, und er ist dabei insbesondere jenen Theoretikern entgegengetreten, die diese Ursachen in einem eigenen, angeborenen Aggressionstrieb entdeckt zu haben glaubten.

Auch in seinem vermutlich letzten Aufsatz, den er für ein im November vergangenen Jahres von der Nova-Spes-Bewegung in Rom veranstalte-tes Symposion verfaßt hat, vertrat er neuerdings die Auffassung, daß die meisten zerstörerischen Leidenschaften, die den Menschen motivieren, ihren Ursprung in bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen haben, die diese Emotionen nähren. Die Stärke dieser Emotionen könne man daran ermessen, daß sie größer sind als der menschliche Selbsterhaltungstrieb. Außerordentlich bewegend war der Aufruf, der Zeit der kannibalistischen Vorgeschichte ein Ende zu machen, damit endlich die eigentliche menschliche Geschichte beginnen könne.

In seinem letzten und wohl populärsten Werk „Haben oder Sein" hat Erich Fromm mit größtem Nachdruck vor einer ökonomischen und ökologischen Katastrophe gewarnt. Fromms Forderung nach einer tiefgreifenden menschlichen Veränderung beruht auf der Auffassung, daß unsere gegenwärtige soziale Ordnung uns krank macht und daß wir auf eine wirtschaftliche und ökologische Katastrophe zusteuern, wenn wir unser Sozialsystem nicht grundlegend umgestalten.

Erich Fromms prophetischer Mes-sianismus ist für Tausende und Abertausende Menschen, die von der Notwendigkeit einer solchen grundlegenden Veränderung überzeugt sind und die sich nach einer besseren Welt sehnen, zu einem Symbol der Hoffnung geworden.

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