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„Investitionen umlenken und neue Energiearten entwickeln“

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Zu den Katastrophendenkern will er nicht gerechnet werden. Den Optimismus jener, die sich auf das unerschöpfliche Füllhorn von Mutter Natur verlassen, kann er nicht teilen. Er steht zwischen beiden, verteidigt die Kräfte des Marktes, widerspricht der „Grenzen-des-Wachstums-Doktrin“ des Klubs von Rom und glaubt felsenfest an die Fähigkeit von Wissenschaft und Technik, Problemlösun-

gen zu erarbeiten, sofern erheblich mehr in Forschung und Entwicklung investiert wird: Walt Whitman Rostow, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität von Texas in Austin, USA.

Uber die Universitäten Yale, Oxford, Columbia, Cambridge und das Massachusetts Institute of Technology führte der Weg des 1916 in New York geborenen Wissenschafters in das US State Department. Er war Sonderberater der Präsidenten Kennedy und Johnson. Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen sind am bekanntesten „The Stages of Economic Growth“ und „Getting from here to there“.

In Den Haag, Kopenhagen.-London und Paris sprach Professor Rostow dieser Tage mit interessierten Journalisten über sein neues Buch „The World Economy - History and Pro-spects“. Das monumentale Werk (880 Seiten, am 12. September gleichzeitig in den USA und in Großbritannien von MacMillan Press Ltd. veröffentlicht, Verkaufspreis 25 Pfund) gibt eine Übersicht über die Weltwirtschaftsentwicklung in den letzten zwei Jahrhunderten. Vor dem Hintergrund des jüngsten Gipfeltreffens in Bonn, Carters Energieprogramm, der ergebnislosen UN-Seerechtskonferenz und angesichts des bevorstehenden Berichts der Vereinten Nationen über die Entwicklungsländer sind Rostows Ansichten von hohem aktuellen Wert.

Welche tiefere Aussage sieht Professor Rostow in seinem eigenen umfassenden Werk?

„Jeder Versuch, die Geschichte der Weltwirtschaft über zwei Jahrhunderte hinweg zu beschreiben, muß selbstverständlich von der Einsicht beherrscht sein, daß sich der Meister erst in der Beschränkung zeigt. Ich gebe zu, daß es noch eine ganze Anzahl wichtiger Aspekte der modernen Wirtschaftsgeschichte gibt, auf die ich nicht systematisch eingegangen bin - zum Beispiel die Geschichte der Unternehmen, der Banken, der Gewerkschaften und der Sozialversicherung. Manche werden auch einwenden, ich hätte Währungsprobleme nicht genügend berücksichtigt Doch ich habe mich dafür ent-

schieden, die Geschichte der Weltwirtschaft seit dem 18. Jahrhundert so zu beschreiben, daß die betreffenden Perioden von fünf aufeinanderfolgenden Gesichtspunkten aus betrachtet werden.“

Rostow weiter: „Da sind die demographischen Ubergänge, das ist die Gesamtbewegung von Produktion, Handel und Preisveränderungen, dann die mehr oder weniger regelmäßige Folge von Trendperioden oder Kontratiefpunkte - Zeitpunkt und Art der mehr konventionellen Konjunkturwellen, und schließlich ist es eine Betrachtung über das Durchlaufen der Wachstumsetappen von zwanzig Volkswirtschaften, die ungefähr zwei Drittel der Weltbevölkerung und 80 Prozent der Weltproduktion umfassen. Jeder der ersten fünf Teile des Buches läuft soweit in die Gegenwart hinein, so daß die Probleme erkennbar werden, vor denen die Weltwirtschaft heute steht. Die Zusammenfassung dieser Pro-

bleme bildet die Grundlage für die Wirtschaftspolitik, auf die ich im sechsten Teil eingehe.“

Welche Forderungen stellt Professor Rostow an die zukünftige Weltwirtschaftspolitik?

„Zunächst einmal weise ich den Pessimismus, wie er vor allem in den Verlautbarungen des Klubs von Rom zum Ausdruck kommt, mit Nachdruck zurück. Nicht das 21. Jahrhundert, sondern die jetzt vor uns liegenden 25 Jahre stellen die kritische Periode dar. Was wir in den nächsten Jahren tun oder unterlassen, wird in hohem Maße davon abhängen, inwieweit die Politiker und ihre Ökonomen imstande sind, die Zusammenhänge der Weltwirtschaft zu erkennen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.“

Eine große Depression wie 1929 bis 1933 sieht der Autor nicht. „Vielmehr scheinen die wichtigsten Industrienationen in einer lange anhaltenden Phase von chronisch hoher Arbeits-

losigkeit und in einem viel zu niedrigen Tempo des Wirtschaftswachstums zu beharren. Die Entwicklungsländer müssen lernen, sich wie Erwachsene zu verhalten, ihr Bevölkerungswachstum zu beherrschen und ihre Nahrungsmittelproduktion unter Nutzung der Vorteile neuer Technologien zu erhöhen. In den Industrienationen muß eine substantielle Verschiebung der Investitionsströme stattfinden, wobei die Entwicklung neuer Energieformen an erster Stelle steht.“

Und schließlich: „Ob der Privatsektor dem durch eine wuchernde Bürokratie ausgeübtem Druck standhalten kann, hängt auch von dem Willen der Politiker*ab, das ihnen gegenüber gewachsene Mißtrauen in den Industriegesellschaften abzubauen. Mit meinem Buch will ich dazu beitragen, die Auffassungen über die treibenden Kräfte hinter dem Angebot wie auch hinter der Nachfrage zusammenzufassen, da-

mit wir aus der Vergangenheit heraus begreifen können, wie wir unseren Weg im nächsten Vierteljahrhundert mit redlichem Erfolg zurücklegen können.“ ^

Aus der Flut wirtschaftspolitischer Schriften ragt Professor Rostows Buch zweifellos heraus. Um so heftiger wird es wohl von den Ökonomen diskutiert werden. Politiker sollten sich hiervon nicht ausschließen.

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