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Jugend im Abseits?

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Demokratiemüdigkeit und Politikverdrossenheit, Rückzug der Jugend in die Privatsphäre und ähnlich klingende Schlagworte gehören zum alltäglichen Vokabular ratloser Politiker. Einen Beitrag zu dieser

Sprachentwicklung leistete die sattsam bekannte Studie „Wertvorstellungen und Lebenskonzepte österreichischer Jugendlicher“ des österreichischen Cartell-Verbandes (ÖCVj vom Dezember 1978, deren brisante Ergebnisse bis heute auf eine umfassende Beachtung und entsprechende Konsequenzen warten. Im Rahmen einer Enquete der ÖCV-Bildungs- akademie vom 30. November bis 2. Dezember 1979 im Bildungshaus St Gabriel bei Mödling soll dem abgeholfen, die enorme Öffentlichkeitswirksamkeit der genannten Untersuchung auf ihre Hintergründe untersucht werden.

Tatsächlich gab es kaum eine Zeitung zwischen Bodensee und Meer der Wiener, die nicht wenigstens Teilergebnisse referierte (vgl. auch FURCHE Nr. 9/1979). Schlagzeilte der Kurier „Familie ist für Österreichs Jugend der höchste Wert“, so zerpflückte Staberi in der „Kronen- Zeitung“ hämisch die bloß theoretische Bereitschaft der Jugend zur Entwicklungshilfe, die dort endet, wo persönliche Opfer beginnen. „Trautes Heim, Glück allein“ ließ nicht nur das Herz der Neuen Tiroler Zeitung höher schlagen, die meisten Kollegen der Journalisten aus dem Heiligen Land gönnten diesem Aspekt weit mehr Beachtung als dem bestürzenden „Tiefstpunkt“ des politischen

Interesses der Jugend („Kro- nen-Zeitung“).

Niemand bezweifelte die Seriosität der Ergebnisse, jeder schrieb, was ihm gerade in den Kram paßte und hatte seine Freude daran, wenn sich so manche drängende frage aus dem Bereich der Jugendpolitik mit Teil-

ergebnissen bequem beantworten ließ. Keiner unternahm den Versuch, die Gesamtheit der zusammengetragenen Fakten auch wirklich zu interpretieren oder gar Forderungen an die Welt der Erwachsenen abzuleiten.

So weit man auch blickte, nirgends der Versuch einer Antwort auf die Frage, ob Jugend zum Träger einer menschlicheren Gesellschaft, zur Vorhut einer neuen, die Krisen der Verschwendungsgesellschaft überwindenden

Gemeinschaft werden könnte. Und das wäre ja wohl die ent scheidende Frage gewesen und ist es noch immer.

Insgesamt blieb nach der Studie das Bild einer desorientierten Jugendgeneration, die in der großen Mehrzahl den öffentlichen Einrichtungen und insbesondere den politischen Vorgängen distanziert bis uninteressiert gegenübersteht, die die materiellen Errungenschaften der Gegenwart ohne Engagement hinnimmt und in erster Linie auf das Leben in der Familie als Rückzugsbereich aus der Öffentlichkeit fixiert ist.

Eine ganze Reihe von Vereinen, kirchlichen und öffentlichen Institutionen, von der Jungen Volkspartei bis zum Sinowatz-Ministerium, fand Verwendung für der eigenen Position opportune und ins eigene Konzept passende Aussagen. Die Tiefendimensionen des jugendlichen Verhaltens zu zentralen Lebensbereichen wie Familie, Berufswelt, Politik und Religion wurden bislang noch keiner eingehenden Betrachtung unterworfen.

Ebenso offen bleibt die Frage, wer denn nun im Abseits steht: die Erwachsenenwelt mit ihren sogenannten realistischen Maßstäben oder eine unschlüssige, eher reservierte Jugend. Wir alle müssen uns aber verpflichtet fühlen, die teils hochstehenden Wertvorstellungen unserer jungen Mitmenschen zu hören und deren schrittweise Desillusionierung zu verhindern.

Die Familie ist in der Tat der mit den allermeisten Hoffnungen besetzte Lebensbereich. Beruf, Freunde und Hobbys erweisen sich als unerwartet nebensächlich in der Zukunftsvision der Jungösterreicher. Zärtlichkeit,

absolute Treue und Kinderliebe kennzeichnen den idealen Ehepartner. Die Realität hoher Scheidungsraten, die verborgen bis offen gezeigte Kinderfeindlichkeit der Gesellschaft stehen in seltsamem Kontrast zu diesen

Wunschvorstellungen.

Widersprüchlich erweist sich auch die Selbstverständlichkeit materieller Besitzansprüche, mit der sich die Mehrheit der Jugendlichen ein Haus im Grünen wünscht und gleichzeitig nach mehr Freizeit und weniger gut dotierter Leistung verlangt. Es scheint bloß eine Frage der Zeit, bis der Mythos von der leistungslosen Erreichbarkeit des materiellen Wohlstands zerfällt und die idealistischen

Träume zertrümmert. Und dennoch: muß die Unersättlichkeit des Wohlstandsbürgers auch den Jugendlichen erfassen?

Wenn schon die ungeheure Bedeutung eines funktionierenden Familienlebens für die Erringung menschlichen Glücks von jedem zweitklassigen Politiker beschworen wird, dann dürfte doch auch die Konzentration aller

Kräfte auf diese Zielsetzung hin keine Frage mehr sein. Schließlich ist der Traum der Jugend von der zärtlichen Familie ein Zeichen der Hoffnung, eine Chance für uns alle.

Schön sind auch die Vorstellungen von der Arbeit: die Sehnsucht nach einem humanen Arbeitsplatz übertrifft bei weitem das Interesse an Einkommen und Karriere. Vor allem aber dient der Beruf zur Sicherung •eines idyllischen Familienlebens, sein Selbstwert wird gering geachtet. Die Möglichkeit der Selbstverwirklichung ist verdeckt von.Zwängen und Abhängigkeiten. Schon in der Schule wird das Arbeiten in zu großen Klassen durch zu sehr auf bloßen Wissenserwerb ausgerichtete Unterrichtsprogramme und disziplinhörige Phantasielosigkeit zur Plage.

Wen kann es da noch wundem, wenn Freude und Zärtlichkeit im Sinne behutsam umsorgender Menschlichkeit in den Augen der jungen Menschen ausschließlich dem Intimbereich zugeordnet werden und nicht auch dem

Beruf?

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