6993740-1987_02_06.jpg
Digital In Arbeit

Kein Wendepräsident

Werbung
Werbung
Werbung

Ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit war für den deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker Ende 1986 Halbzeit für sein Amt. Wie kaum ein anderer Bundespräsident vor ihm, hat sich Richard von Weizsäcker binnen kürzester Zeit breiten Respekt und Anerkennung in der Bevölkerung sowie bei allen Parteien und auch im Ausland verschafft.

Sein Großvater war der letzte königlich-württembergische Mi-

nisterpräsident vor 1918 und erhielt als solcher den Freiherren-Titel. Und sein Vater war in der Nazi-Zeit zwar parteiloser Staatssekretär im Außenamt (unter Joachim von Ribbentropp), wurde jedoch trotzdem in Nürnberg im sogenannten „Wilhelmstraßen-Prozeß“ angeklagt. Verteidiger war sein damals noch junger Sohn und Anwalt Richard.

Nach Anwalts- und Industrietätigkeit zog Richard von Weizsäk-ker 1969 für die CDU in den Bundestag. Gleichzeitig engagierte er sich in der Evangelischen Kirche, wo er mehrmals Kirchentagspräsident war.

Bereits 1974 schickte ihn die Union in die Wahl zum Bundespräsidenten; wobei er sich damals gegenüber Walter Scheel aufgrund der Mehrheitsverhältnisse

in der Bundesversammlung in einer aussichtslosen Position befand.

Später zog er ins Bundestagspräsidium ein. Vorläufiger Höhepunkt war 1982 seine Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin, wofür er schon früher einmal kandidierte. Durch seine souveräne Art gelang es ihm, die durch Skandale und Radau-Wesen angeschlagene Stadt aus dem Tief herauszuholen. So war es auch seinem Nachfolger Eberhard Diepgen 1985 möglich, die Mehrheitsposition für CDU und FDP zu erhalten.

1984 wurde er von der Bundesversammlung mit deutlicher Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt, nachdem sogar Willy Brandt zu erkennen gegeben hatte, daß er für Weizsäcker stimmen werde. Einzige Gegenkandidatin ohne jede Chance war die von den Grünen nominierte Schriftstellerin Luise Rinser.

Die Funktion des deutschen Bundespräsidenten besitzt weitaus weniger Vollmachten als die des österreichischen.

Obwohl von den Unionsparteien nominiert, versteht sich Ri-

chard von Weizsäcker nicht als „Wende-Präsident“, wie seinerzeit Gustav Heinemann seine Rolle verstanden hat. Dessen Wahl 1969 mit Hilfe der SPD und FDP läutete den Regierungswechsel von CDU/SPD zu SPD/FDP ein. Weizsäcker hält sich aus aktuellen Polit-Querelen heraus und hat sich von seiner Partei längst emanzipiert.

Er möchte auch nicht von den Sozialdemokraten als Kronzeuge gegen die Regierung in Anspruch genommen werden, was relativ oft passiert; aber er unterfüttert auch nicht Gesetze und Maßnahmen der derzeitigen Koalition mit entsprechender staatsmännischer Philosophie; sehr zum Ärger seiner früheren Parteifreunde, die ihre Kritik nur deshalb nicht in die Öffentlichkeit tragen, weil eben für einen Konservativen das Staatsoberhaupt noch immer sakrosankt ist.

Die Autorität Weizsäckers hat zu einem guten Teil durch seine Reden gewonnen. Dies gilt vor allem für die vom 8. Mai 1985, zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation, den er als „Tag der Befreiung bezeichnete“, was viele als unerhört bezeichneten. „Erinnern

heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, daß es zu einem Teil des eigenen Inneren wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit“, erklärte er in dieser Rede, die im In- und Ausland große Beachtung fand.

Aber nicht nur durch Reden, sondern auch durch zeichenhafte Taten verleiht Weizsäcker seinem verfassungsmäßig machtlosen Amt Respekt. Ob am norwegischen Widerstandsdenkmal „Das Nein des Königs“; im israelischen Jad Wäschern, wo die Erinnerung an die grauenhaften Verbrechen der Deutschen an den Juden wachgehalten wird; oder auf einem deutschen Arbeitsamt, wo er sich von Arbeitslosen über deren Nöte unterrichten läßt; oder in Berlin, wo er sich demonstrativ mit Ausländerkindern beschäftigt. Uberall erscheint Richasd von Weizsäcker als ein Mann, der sich mit Ernsthaftigkeit den Problemen seiner Zeit und seines Amtes stellt.

Ein bequemer Bundespräsident ist Weizsäcker nicht, aber gerade einen solchen braucht ein demokratisches Gemeinwesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung