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Ein deutscher Diplomat berichtet

19451960198020002020

Erinnerungen. Von Ernst von Weizsäcker. Paul-List-Verlag, 392 Selten

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Erinnerungen. Von Ernst von Weizsäcker. Paul-List-Verlag, 392 Selten

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Monatelang tobte in der öffentlichen Meinung Deutschlands und der westlichen Großmächte die Pressefehde um die Verurteilung des ehemaligen Staatssekretärs im deutschen Auswärtigen Amt, Weizsäcker; im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozeß hatte man den inzwischen freigelassenen höchsten Funktionär der deutschen Außenpolitik nach Ribbentrop wegen seiner Teilnahme an der technischen, das heißt aktenmäßige Vorbereitung der Angriffshandlung verurteilt und damit gleichzeitig alle Jene Beamten moralisch und praktisch gerichtet, die oft nach inneren Gewissenskämpfen im Apparat des totalitären Staates verblieben; um wenigstens Ärgstes zu verhüten und Möglichkeiten für die Zukunft zu sichern. Fraglos bietet eine solche Haltung unter dem Aspekt derer, die unter der Gewalt litten, Anlaß zu manchen Zweifeln. Aber Weizsäcker gehörte zu jener Schichte pflichtbewußter Beamter des Dritten Reiches, die im Auswärtigen Dienst mehr sahen, als nur ein permanentes. Feldlager Ribbentrops, in dem es nur ein Nachbeten hitlerischer Formen gab.

Wie Canaris kam Weizsäcker über die ehemals, kaiserliche Kriegsmarine in die Politik. In der Genfer Schule vieler deutscher Diplomaten, als Experte in der Abrüstungsdelegation, konnte er kritisch das Versagen der Völkerbundsidee beobachten. Seine Schweizer Tätigkeit, vor allem die Stellung als Gesandter 1933 bis 1936, war insoferne sehr fruchtbar, als er zahlreiche internationale Verbindungen, die gerade während des zweiten Weltkrieges über die Schweiz laufen sollten, anknüpfte. In Berlin galt er immer als Fachmann, nie als Parteimann, und Neurath schickte ihn bei schwierigen Verhandlungen gerne als Delegationsführer ins Ausland; so zum Beispiel im Jahre 1937 nach Wien, wo er durch seine Sachlichkeit auffiel. Die Atmosphäre-des Hauses auf dem Ballhausplatz hat Weizsäcker, der selbst aus einer Familie stammte, die in der Tradition des Heiligen Römischen Reiches wurzelte, tief beeindrudct. Von. der Übernahme der österreichischen Beamten im Jahre 1938 erhoffte er sich eine starke Befruchtung des deutschen Auswärtigen Dienstes, erkannte jedoch bald, daß die politischen Umstände einer glücklichen Transfusion entgegenstanden.

Ribbentrop selbst stellte Weizsäcker im April 1938 den Antrag zur Übernahme des Staatssekretärpostens. Eingeschaltet als der amtliche Stellvertreter des Außenministers zwischen dem Auswärtigen Amt und der immer mehr um sich greifenden „großen Politik“ Ribbentrops, der sich nur als Sprachrohr seines Herrn entpuppte, war Weizsäcker gezwungen, ein schwieriges Spiel bewußt auf sich zu nehmen. Mehrmals weist er darauf hin, daß aus den Dokumenten dieser Zeit, auch aus seinen eigenen, nie die historische Wahrheit zu ersehen ist, weil viele der Darlegungen unter den Bedingnissen der personalpolitischen Doppelgeleisigkeit des totalitären Staates geschrieben wurden und ohne Kenntnis der Haupt- und Nebenstellen, an die sie gerichtet waren, überhaupt nicht zu entschlüsseln sind. Immerhin konnte Weizsäcker mit Hilfe des von ihm so hochgeschätzten italienischen Botschafters Attolico und in Zusammenarbeit mit Henderson in der Sudetenkrise das Ärgste verhindern. Ein ähnliches Unterfangen im August 1939 war zwecklos, da längst die Warnungen des Auswärtigen Amtes durch den Rußlandpakt hinfällig geworden waren.

Die Schilderungen der Kriegsjahre enthalten viele Ergänzungen zu bekannten Tatsachen aus anderen Memoirenwerken. Am interessantesten ist wohl die Beurteilung des japanischen Kriegseintrittes. Berlin wurde von Tokio bewußt im unklaren gelassen, und die Meinung, daß Dietrichs großsprecherische Ankündigung über die Beendigung des Krieges im Osten im Oktober 1941 die japanische Einstellung beinflußt hätte, wird in das Reich der Fabel gewiesen.

Als im Jahre 1943 die vielen Bemühungen Weizsäckers, zu einem fruchtbaren Friedensgespräch mit dem Westen zu kommen, gescheitert waren, fand er als Botschafter beim Vatikan eine Art Ausgedinge, das er allerdings gerne als Beobachtungsposten für letzte Möglichkeiten benützt hätte. Den Sohn einer protestantischen Familie beeindruckte die Friedenssehnsucht und der Schmerz des regierenden Heiligen Vaters über die Entwicklung, die unzweifelhaft auf eine Katastrophe Europas hintrieb. Inmitten der weltweiten Geistigkeit und überzeitlichen Politik der Kurie konnte Weizsäcker nur mehr Schlimmstes verhüten, um wenigstens die Ubergabe Roms an die Allierten reibungslos zu gestalten. Die kirchlichen Autoritäten haben, als 1945 ihm, dem Heimatlosen, das Asylredit gewährt wurde, die Anerkennung nicht versagt. Seine Lebensbeichle ist ein erschütterndes Dokument einer traurigen Wegstrecke europäischer Geschichte.

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