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In der Wilhelmstraße

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Während die Sonderzüge Hitlers und Ribbentrops nach dem Hauptquartier abfuhren, blieb in der Zentrale der deutschen Außenpolitik Staatssekretär Weizsäcker als Vertreter des Reichsaußenministers Ribbentrop zurück. Ihm, der so oft gewarnt hatte, oblag die Pflicht, nunmehr das diplomatische Kapitel der deutsch - russischen Beziehungen abzuschließen. In diesen spannungsvollen 48 Stunden mag dieser Beamte wilhelminischer Prägung, der im Amte verblieben war, um Schlimmstes zu verhüten, noch einmal den wechselvollen Ablaut der deutsch-russischen Freundschaft seit dem 23. August 1939 überblickt haben. Weizsäcker kann in diesen Tagen noch einmal in den vielfältigen Berichten der Moskauer Botschaft geblättert haben. Daraus ging eindeutig hervor, daß namentlich seit der verunglückten Begegnung Molo-tow-Hitler im November 1940 von beiden Seiten das Mißtrauen größer und unüberwindlicher geworden war, weil die Kraftlinien der Macht der beiden Großstaaten immer mehr sich zu überschneiden begannen. Daraus ging aber auch hervor, daß der russische Gesprächspartner bereit war, bis zum äußersten auf die wirtschaftlichen Forderungen des Dritten Reiches einzugehen. Immer mehr verschloß sich Hitler seit dem Frühjahr 1941 den Vorstellungen seiner Diplomaten und des Staatssekretärs. Ribbentrop aber, der einstmals den Abschluß des Rußlandvertrages als die „größte Tat seines Lebens gepriesen“ hatte, war in das Lager der Fanatiker wie Rosenberg, die eine Zerteilung Rußlands proklamierten, übergegangen. Es half nichts, wenn Botschafter Schulenburg in der Übertragung der unbeschränkten Regierungs-, macht an Stalin am 7. Mai 1941 das Zeichen der äußersten Bereitschaft in Rußland zu erblicken versuchte. Schulenburg, ein Diplomat, der zeit seines Lebens für eine deutsch-russische Annäherung gekämpft hatte, versuchte noch einmal, persönlich zu Hitler vorzudringen. Am 25. April 1941 fand in Wien im Hotel Imperial zwischen ihm und Hitler eine entscheidungsvolle Unterredung statt. Eindringlich warnte damals der Botschafter vor der Illusion, daß das Sowjetregime unter deutschen Anfangserfolgen zusammenbrechen werde. In vieler Hinsicht erinnert dieses Gespräch zwischen dem Botschafter und dem Reichskanzler an die berühmte Zusammenkunft von Saint-Cloud, in deren Verlauf Coulaincourt Napoleon einstmals versuchte, von seinem Plan eines russischen Feldzuges abzubringen. „Krieg oder Frieden sind in Ihren Händen, Majestät!“ flehte damals der Botschafter Napoleons. Die Antwort des Kaisers war: „Sie sprechen wie ein Russe.“ Auch Hitler pflegte die Argumente seiner Diplomaten mit der Bemerkung abzutun, daß sie der längere Aufenthalt nur zu Vertretern der Interessen ihrer Gastländer mache. Ohne daß Schulenburg auch nur durch ein Wort die Entscheidung Hitlers erkennen konnte, wurde er nach Moskau zurückbeordert, um an der historischen Maiparade teilzunehmen, an der sich Stalin zum erstenmal umgeben von seinen Generalen zeigte. Am 18. Juni, noch vier Tage vor dem Einmarsch, erschien bei Weizsäcker der russische Botschafter in Berlin, De-kanosow, um sich über laufende Probleme zu unterhalten. In der Reichskanzlei fürchtete man insgeheim, daß in letzter Stunde der Terminkalender gestört werden könnte. Die Armeen standen schon sprungbereit an der Grenze.

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