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Kirche kann man nicht kaufen

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FURCHE: Sie haben sich wie Ihr Vorgänger als „Agnostiker” erklärt. Was verstehenSie darun- for ItTm Icrpt ‘

SINOWATZ: Daß Bewußtsein und Erf ahrung in der Beurteilung des Lebens ausschlaggebend sind und das, was dariiber hinausgeht, fiir die menschliche Vernunft nicht faßbar ist. Was ich nicht darunter verstehe, ist eine Geg- nerschaft zum nicht Faßbaren, weil ich glaube, daß die Frage nach dem Letzten jedem Men- schen gestellt ist.

FURCHE: Als regulärer Frei- maurer miissen Sie aber an den „Großen Baumeister aller Wel- ten” glauben. Wie verträgt sich das mit derAgnostikerdefinition?

SINOWATZ: Die Freimaurerei ist im Verlauf der Geschichte zu einem sehr personlichen Be- kenntnis geworden, und so halte ich es auch. Fiir mich ist in dieser Hinsicht eher entscheidend die Idee der Toleranz.

FURCHE: Wie beurteilen Sie das eben publizierte Ergebnis des 15jährigen Dialogs zwischen Ex- perten der Freimaurerei und der r.k. Kirche (vgl. S. 5) ?

SINOWATZ: Vieles, was die Freimaurerei betrifft, ist ganz einfach zu lange mit dem falschen Mantel des Geheimnisvollen um- geben gewesen und hat gar nicht mehr in unsere Zeit gepaßt. Ich kann mir nicht vorstellen, was heute noch einen Gegensatz zur Kirche darstellen sollte.

FURCHE: Welche Rolle büligen

Sie Kirchen, überhaupt gesetzlich anerkannten Religionsgesell- schaften, in einer pluralistischen Gesellschaft zu?

SINOWATZ: Die Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen. Da sie in der Gesellschaft wirkt und an ihrem Geschehen Anteil nimmt, kann und soli sie sich auch zu Fragen nicht nur des Glaubens und der Moral, sondern auch der Gesellschaft äußern.

FURCHE: Finden Sie, daß es nach dem Katholikentag 1952, der endgiiltig die Trennung der ka- tholischen Kirche von einer poli- tischen Partei proklamierte, Rückfälle in die Verquickung von Kirche und Partei gege ben hat?

SINOWATZ: Als Politiker und als Zeitgeschichtler muß ich sa- gen: nein! Gerade in einer pluralistischen Gesellschaft gibt es un- terschiedliche Strömungen und Kommentare, aber es ist undenk- bar geworden, daß die Kirche heute yon einer Partei allein in Beschlag genommen wird. Die Kirche wiirde das auch nie mehr zulassen.

FURCHE: Sind Sie auch dage- gen, wenn von sozidlistischer Sei- te gelegentlich versucht wird, die Kirche fiir die Unterstiitzung ei- gener Positionen zu beanspru- chsTL ?

SINOWATZ: Das Verhältnis zwischen Kirche und Sozialde- mokratie ist heute nicht nur durch ein geduldetes Nebeneinander ge- kennzeichnet, sondern immer wieder durch eine zum Teil gleichartige, zum Teil unterschiedli- che Beurteilung grundsätzlicher gesellschaftlicher Probleme. Das ist nichts Schlechtes. Eine Verein- nahmung der Kirche durch irgend- eine Partei, also auch die soziali- stische, ist abzulehnen.

FURCHE: Haben in einer Zeit budgetmäßiger Einschränkungen die Kirchen Kiirzungen staatli- cher Zuwendungen zu erwarten?

SINOWATZ: Wo gesetzliche Verpflichtungen bestehen, etwa zur Kosteniibernahme fiir Lehrer an Privatschulen, ist an eine An- derung nicht gedacht. Wo Spar- maßnahmen ins Auge gefaßt sind, wie bei der Schulbuchaktion, werden diese alle gleich treffen, aber auch hier sind sicher keine substantiellen Anderungen zu erwarten.

FURCHE: Manche Katholiken fürchten, sozialistisch gefiihrte Regierungen wiirden sich durch relative Großzügigkeit infinanzi- eller Hinsicht—auch der Pap st be- such wird aus öffentlichen Mit- teln mitfinanziert — wenn schon nicht ein Schweigen, so doch ein Leiseertreten der Kirche in Grundsatzfragen, etwa der Ab- treibung, erkaufen.

SINOWATZ: Das ist sicher nicht der Fall. Auch in den siebzi- ger Jahren hat die Kirche, wo sie es für nötig erachtete, sehr eindeutig Stellung bezogen. Die Kirche kann man nicht kaufen.

FURCHE: Ware nicht gerade der Katholikentag eine Gelegen- heit, auch in der Abtreibungsfrage eine Geste der Versöhnung zu setzen—nicht durch Rilckkehr zur Bestrafung, sondern durch Ein- fiihrung jahrelang geforderter flankierender Maßnahmen?

SINOWATZ: Wichtig ist unsere Feststellung, daß unser Eintreten fiir die Fristenlösung keineswegs eine positive Bewertung der Ab- treibung darstellt. In unserer Zeit sollen den Menschen möglichst viele Lebenshilfen angeboten werden, um die Zahl der Abtrei- bungen auf das geringstmögliche Maß zu senken.

FURCHE: Eine Senkung trat aber auch nach dem Urteil etwa von Primar Rockenschaub nicht ein. Könnte man nicht doch z. B. eine anonyme Motivenforschung und eine Trennung von beraten- dem und abtreibendem Arzt ein- führen?

SINOWATZ: Wenn es Möglich- keiten gibt, die zielfiihrend sind, kann man dariiber reden.

FURCHE: Stehen Sie in derAb- riistungsfrage dem ausgewoge- nen Bischofsappell oder dem einseitig gegen die NATO gerichte- ten ,JLinzer Appell” näher?

SINOWATZ: Ich glaube, daß noch nie so viele junge Menschen wie heute eine so tiefe Friedens-

sehnsucht gezeigt haben. Daran können und sollen Politiker nicht vorbeigehen. Politiker aber kön- nen sich nicht allein auf Deklara- tionen beschränken. Sie miissen etwas tun: soziale Verantwortung wecken, den sozialen Ausgleich weiterentwickeln, eine Außenpo- litik machen, die den Frieden för- dert. Osterreich ist immer fiir eine möglichst weitgehende und mög- lichst ausgewogene Abrtistung eingetreten…

FURCHE: Sie haben einmal sinngemäß gesagt, alles, was Sie sind, seien Sie durch die Partei, und möchten es nicht anders sein. 1st das ein zeitgemäßes Parteiver- ständnis?

SINOWATZ: Ich fasse Sozial- demokratie nicht nur als Partei auf, sondern als konstruktives Element der Politik iiberhaupt. Als Funktionär hat man einen Auftrag und eine Verantwortung übernommen. Das darf ein sozial- demokratischer Politiker nie yer- gessen, seine Gesinnung nie bei- seite lassen und jenen Idealismus mitbringen, ohne den jede politi- sche Bewegung zu einer Alltags- partei wird.

FURCHE: Steht dieses Anlie- gen hinter dem Streit Bruno Krei- skys mit Hannes Androsch?

SINOWATZ: Die Privilegien- debatte hat ein bißchen vorder- griindig in die Richtung gefiihrt, als miisse man ein Geliibde der Armut ablegen, um sich als sozi- aldemokratischer Politiker aus- zuweisen. Ich glaube vielmehr, daß sozialistische Spitzenpoliti- ker ihre Identität und die prinzi- pielle Gesprächsfähigkeit mit den Menschen bewahren miissen.

I FURCHE :VermißtKreisky das an Androsch?

SINOWATZ: Die Sensibilität fiir diese Fragen ist in alien Schichten der SPO größer geworden. Ich bin sehr froh dariiber. Solche Diskussionen zeichnen unsere Partei aus. Aber je weniger sie vordergriindig personalisiert werden, um so érnsthafter wird man dariiber diskutieren.

FURCHE: Worin liegt fiir Sie der Sinn des Lebens? Warum soli man gut, sozial, gerecht sein?

SINOWATZ: Ich glaube, daß in Wahrheit jene Menschen gliick- lich sind, die soziale Verantwortung empfinden und bestrebt sind, dafiir zu wirken, nicht nur in der Politik, sondern auf alien Ebenen. Ich bin zutiefst davon iiberzeugt, daß der weltweite Friede, nach dem wir uns alle seh- nen, dann nicht bloß eine Vision bleibt, wenn dieses Bemiihen um soziale Verantwortung zu einer Lebenshaltung wird.

Mit dem Bundeskanzler sprach Hubert Feichtlbauer

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