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Last der Vergangenheit
„Klein und neutral zu sein, ist keine Entschuldigung dafür, der Gegenwart mit Selbstzufriedenheit und der Geschichte mit Ignoranz gegenüberzustehen." Und: „Man könnte zu dem scheinbar widersprüchlichen Schluß gelangen, daß der moderne österreichische Staat das Produkt eines heilsamen Schweigens ist, das nicht nur alte Wunden schloß, sondern auch alte Schuld verdrängte."
Wer Kurt Wanheim fur die Imagepi-obieme Österreichs verantwortlich machen möchte, sollte die gemeinsame amerikanischösterreichische Analyse zur Hand nehmen, die vor zwei Jahren (!) in einem vom Aspen Institute for Humanistic Studies gemeinsam mit der Zentralsparkasse veranstalteten Seminar erarbeitet wurde. Der Zufall will es, daß der Bericht „Osterreich in den achtziger Jahren, Erbe der Vergangenheit — Konturen der Zukunft" gerade jetzt in seiner deutschen Ubersetzung vorliegt.
Die Risse im Geschichtsbild des modernen Österreichs wurden von diesem internationalen Ge-
sprächskreis zu einem Zeitpunkt konstatiert, zu dem Kurt Waldheim (noch) kein Thema war.
Und im Resümee des Berichtes steht schwarz auf weiß nachzulesen, „daß ein besseres Verständnis der Leistungen des heutigen Österreichs nicht nur von einer Anerkennung der offensichtlichen Errungenschaften seit 1945, sondern auch von einem offeneren Eingeständnis der morali-achea Katastrophe der Jahre 1938 bis 1945 ausgehen muß".
Das uns zugeordnete Vörstelr lungsbild hat offensichtlich schon früher jene Schatten miteingeschlossen, die wir heute zu personalisieren trachten. Und vielleicht begreifen auch Eiferer und Geiferer, daß es dabei nicht um die Vergangenheit eines einzelnen Mannes ging und geht.
Das Bild Österreichs, das sich im vorliegenden Bericht spiegelt, ist aber trotzdem keine häßliche Fratze, sondern ein sympathisches Gresicht, wenn auch nicht so hold, wie wir uns für die Fremdenverkehrswerbung darstellen.
Unsere „aktivistische" Neutralität, unsere Position.der „Milte" in Europa, als „Brücke" zwischen Ost und West, aber auch als der wichtigste westliche Partner im osteuropäischen Donauraum, wird so positiv bewertet, wie die „Scheu und die Engstirnigkeit junger Österreicher im Umgang mit der ,Welt draußen"‘ negativ.
Mit Bewunderung für das österreichische Wirtschaftswunder wird nicht gespart, rnitHinweisec ‘ auFdie Schwachstelleh in deirtn-dustriestruktur aber auch nicht, vom technologischen Rückstand gar nicht zu reden. „Trotzdem", so der Bericht, „ist die Ausgangssituation des Landes … weitaus besser als in den späten vierziger und fünfziger Jahren." Und an anderer Stelle: „Das Land ist gut gerüstet, um sich in einer Ära des globalen Wirtschaftswachstums international zu behaupten."
Die Notwendigkeit einer „Nachrüstung" wird allerdings schonungslos angesprochen: „Im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt gibt Österreich weniger für Forschung und Entwicklung aus als viele andere europäische Länder; dies gilt vor allem für die entscheidenden Wachstumssektoren, darunter Mikroelektronik und Biotechnologie."
Oder: „Um die Verwirklichung neuer Forschungs- und Handelsprojekte zu fördern, wäre es günstig, würde der österreichische Staat bei der bürokratischen Kontrolle flexibler und nähme in manchen Sektoren der Wirtschaft, insbesondere in ‘ for-schungsorientierten Bereichen, die in enger Beziehung zu den österreichischen Universitäten stehen, seine aufsichtspolitische Präsenz zurück."
Ein bisserl weniger Provinzialismus, aber bedeutend mehr Weltoffenheit; ein bisserl weniger Bürokratie, aber viel mehr Flexibilität und Mobilität; ein bisserl weniger Sicherheitsdenken, dafür beachtlich mehr Risikobereitschaft: „Die Zukunft winkt, aber sie winkt in einer komplexen, durch rücksichtslose Konkurrenz und zunehmende wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichneten Welt", mahnt der Bericht. Aber „nur wer die Vergangenheit verstanden und damit abgeschlossen hat, kann die Zukunft zu den ihr eigenen Bedingungen in Angriff nehmen und gestalten".
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