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Lehrertugenden
Die Teilnehmer des fünften Symposions „Innere Schulreform", vom 25.-27. 10.1984, veranstaltet im Institut für Medienpädagogik am Internationalen Forschungszentrum in Salzburg, legen als Ergebnis ihrer Beratungen und Diskussionen folgende Thesen vor:
1. Maßgeblich für das Gelingen jeder pädagogisch begründeten Reform ist eine gute Lehrerbildung. Wenn Bildung als dem Wahren verpflichtetes Wissen und dem Guten verpflichtete Haltung gelingen soll, dann muß sich auch das Lehrer- und Erziehersein diesem Anspruch stellen.
2. Zum Lehrer- und Erziehersein gehört das Engagement für den Anspruch der Bildung in Haltung und Gesinnung.
3. Jede Lehrerbildung hat in der pädagogischen Beruf sgesinnung ihre erste Aufgabe zu sehen.
4. Diese Forderung gilt für alle Lehrer aller Schularten: vom Kindergarten bis zur Hochschule und Erwachsenenbildung.
5. Die Forderung nach Beruf sgesinnung sollte gesetzlich verankert werden, um sie in ihrer Bedeutung auch vom Staat zu unterstützen. Aus ihr, dem pädagogischen Ethos, ergibt sich die verbindliche Forderung nach Berufswissen und Berufskönnen.
6. Wir appellieren an Wissenschaft und Politik, der Förderung der Berufsgesinnung in der organisatorischen Struktur der Lehrerbildung, in den Lehr- und
Studienordnungen und Studienplänen, Rechnung zu tragen.
7. Berufsgesinnung verwirklicht sich in den Tugenden der Mitmenschlichkeit, im Dienst an der Menschwerdung des Menschen; an seiner Befähigung, in dieser Gesellschaft sinnvoll zu leben und sie zu gestalten.
8. Zu den Tugenden des Lehrerseins gehören:
• die Tugend der Gerechtigkeit, um jeden jungen Menschen ohne Vorurteil zu seiner Bildung kommen zu lassen, ihm ohne Ansehen der Person Chancen für eine ihm entsprechende Bildung zu erschließen;
• die Tugend der Gelassenheit, um ihm gegenüber das rechte Maß zu finden, sich auf ihn und seine Besonderheit in ausgewogener Souveränität einzulassen;
• die Tugend der Geduld, um ihm für seine Entfaltung, für die Entwicklung seines Wollens und Einsehens Zeit zu lassen;
• die Tugend der Bescheidenheit, um den jungen Menschen nicht nach eigenem Programm formen zu wollen, sondern ihn zu sich selbst kommen zu lassen;
• die Tugend der Hoffnung, um Scheitern und Mißerfolg nicht in Verzweiflung münden zu lassen, um ihm selbst immer wieder Hoffnung zu geben;
• die Tugend des Vertrauens, um den Dialog nicht abreißen zu lassen, auch wenn die Gesprächsbasis manchmal verloren scheint;
• die Tugend der Liebe, um ihn anzunehmen, ohne ihn
zu bevormunden, um ihn sowohl in seinem konkreten Menschsein ernst zu nehmen, gleichzeitig aber seine besseren Möglichkeiten nicht zu verneinen.
9. Diese Tugenden finden im christlichen Glauben ihre besondere Fundierung; sie ergeben sich aber auch aus jeder anderen im Gedanken der Humanität fundierten Weltanschauung.
Die Forderung, pädagogisches Ethos zu vermitteln, um die Tugenden des Lehrers zu erwerben, gilt für alle Formen der Lehrerbildung.
An den Universitäten haben Fachwissen, didaktisches Wissen und Können und die Begegnung mit der Praxis im Dienst des pädagogischen Ethos, d. h. der Berufsgesinnung zu stehen.
Prestigemäßige und parteipolitische Interessen dürfen jenen Auftrag nicht behindern. Es sind Überlegungen anzustellen, wie Schule, Universität und Ministerien in Erfüllung dieser Aufgabe sinnvoll kooperieren.
An den pädagogischen Akademien sollte die Verlängerung der Ausbildung ausdrücklich dieser Aufgabe gewidmet sein, pädagogisches Ethos zu fördern.
Für Lehrer aller Schularten gilt die Forderung der Weiterbildung. Diese darf nicht nur der fachwissenschaftlichen oder didaktischen Weiterbildung überlassen werden, sondern muß ausdrücklich der Besinnung auf die Berufsgesinnung dienen.
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