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Menschenrechte für die Praxis

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Rechte auf dem Papier, die nicht zur Anwendung kommen, nützen den Betroffenen nichts. Dals gilt zum Teil heute noch für die in der 1950 vom Europarat in der „Europäischen Menschenrechtskonvention“ niedergelegten und von Österreich 1958 anerkannten Rechte zum Schutze der Einzelperson gegen staatliche Ubergriffe. Sie kommen nicht immer zur Anwendung, weil es den in der Praxis tätigen Juristen an einem direkten Zugang zur Konvention fehlt. Ihn schaffen will nun ein neuer wissenschaftlicher und erstmals auch internationaler Kommentar zu diesem Rechtssystem.

An der Erstellung dieses Werkzeugs für den Praktiker ist ein Team von sechs österreichischen, deutschen und Schweizer Wissenschaftlern beteiligt. Über das Projekt, das vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt wird, berichtet Univ.-Prof. Herbert Miehsler, Ordinarius für Völkerrecht an der Universität Salzburg und Mitautor und Redaktionsleiter des Kommentars, dem ibf: Geplant sind ein Textband und eine Loseblatt-Sammlung, die laufend ergänzt wird (erste Lieferung Oktober 1979). Enthalten sein werden unter anderem:

• Der Text der Menschenrechtskonvention in englischer, französischer und deutscher Sprache;

• etwa 30 bisher unveröffentlichte Entschließungen des Ministerkomitees und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die für die Auslegung der Konvention wichtig sind;

• und die Beschlüsse der Europäischen Kommission für Menschenrechte und die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie

• die bisherigen Entscheidungen der Höchstgerichte Österreichs, Deutschlands und der Schweiz zur Konvention (möglichst vollständig) und der übrigen Europaratsstaaten (in Beispielen). -ibf-

Förderung durch die Gesellschaft -als „Problemloser“, als besten Schutz gegen soziale Fehlentwicklungen, ansprechen?

„Solche Fragestellungen sind im Projekt auch vorhanden“, meint Univ.-Prof. Michael Mitterauer, Vorstand des Instituts für Wirtschaftsund Sozialgeschichte an der Universität Wien, der vor allem die interdisziplinäre Zusammenarbeit (Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, Soziologie, Rechtsgeschichte, Stadtforschung, Volkskunde) bei diesem Thema hervorhebt, sich persönlich -als Historiker - bei dieser Frage aber fast überfragt fühlt.

„Die Familie ist jedenfalls weniger ein Agens gesellschaftlichen Wandels als vielmehr ein Faktor, der auf Innovationen reagiert. Problemlösungen müssen primär von der Gesellschaft kommen, allerdings muß

in den Familien ein entsprechender Umsetzungsprozeß stattfinden. Es sind aber meinungsbildende Instanzen notwendig, und vor allem die Kirchen können hier einen wichtigen Beitrag leisten.“

Mitterauer sieht die Familie als Mikrostruktur, in der ältere Wertvorstellungen länger überleben als in der Makrostruktur Staat, als Gruppe, „die sich anpassen muß und der dies durch staatliche Familienpolitik erleichtert werden soll“. So ist etwa der lange Weg vom Individuallohn zum familiengerechten Lohn - mehr Geld bei größerer zu erhaltender Familie -seiner Meinung nach noch nicht zu Ende.

Beispielsweise wurde bereits unter Joseph II. bei den Beamten und später bei anderen Berufsgruppen darauf Rücksicht genommen, daß - damals ! - ein Familienvater ab 50 wegen der erhöhten Beanspruchung durch die Kinder mehr Lohn brauchte. Aber noch heute entfallen die höchsten Bezüge auf diese Altersgruppe, ohne Rücksicht darauf, daß nun wesentlich früher geheiratet wird und in diesem Alter oft nur mehr die Ehefrau erhalten werden muß.

Die Theorie vom „Tod der Familie“ weist Mitterauer von sich: „Was sich abzeichnet, ist, daß die Familie weitere Funktionen abgeben wird. Das kann man - je nach Standort - als Funktionsverlust, aber auch als Funktionsentlastung sehen.“

Das Subsidiaritätsprinzip dürfe nicht so verstanden werden, daß die Familie Funktionen erfüllen solle, solange sie dazu nur irgendwie in der Lage sei: „Das Beispiel der Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch Maria Theresia illustriert, daß ein so verstandenes Subsidiaritätsprinzip damals durchaus nicht fortschrittlich gewesen wäre. Und die Entlastung der Familie von Sozialisa-tionsfunktionen haben vor allem auch die Kirchen vorangetrieben, obwohl damit unzweifelhaft eine Reduktion der elterlichen Erziehungsrechte verbunden war.“

Mitterauer beklagt in diesem Zusammenhang: „Es wird zu vereinfachend in der Alternative Familie -Staat gedacht!“ Dabei muß gar nicht immer gleich der Staat auftreten, in Zukunft dürften vor allem Kleingruppen (etwa Nachbarschaftsgrup-

pen) verstärkt zur Entlastung der Einzelfamilie beitragen. Insbesondere den in vielen Pfarren bereits bestehenden Familienrunden mißt Mitterauer hier erhöhte Bedeutung zu.

Den Forschem geht es aber naturgemäß nicht darum, Zukunftsperspektiven für die Familie zu eröffnen oder der Familienpolitik Handlungsanweisungen zu geben. Sie wollen wissenschaftlich Fakten zusammentragen und sich kritisch mit den gängigen Thesen der Familiensoziologie auseinandersetzen, sie - so Mitterauer - „falsifizieren, verifizieren oder modifizieren“.

Eine davon ist die „Intimisierungs-these“, die in der für unsere heutige Vorstellung von Familienleben charakteristischen Intimität das Produkt einer relativ späten historischen Entwicklung - etwa seit dem 17. Jahrhundert - sieht, eine andere die „Privatisierungsthese“, die der Trennung von Arbeitsstätte und Wohnung die entscheidende Zäsur in der Entwicklung zu der heute gegebenen Polarität von familialer Privatheit und Öffentlichkeit zuschreibt. An solchen Thesen gibt es noch eine ganze Reihe.

Bei der Arbeit schlagen die Wissenschafter unter anderem einen in Österreich völlig neuen Weg ein, den Weg der „oral history“, der mündlichen Uberlieferung. Dabei wird das Erinnerungsvermögen speziell älterer Menschen und speziell im ländlichen Raum als Quelle herangezogen. Es ist kein Geheimnis, daß ältere und izum Teil vorindustrielle Muster der Familie im ländlichen Raum noch stärker greifbar sind, daß dort die familiären Beziehungen noch mehr durch die Arbeitsbedingungen determiniert sind.

Mag auch die Familie nur durch einen entsprechenden Umsetzungsprozeß gesellschaftlicher Aktionen problemlösend wirken können, in jedem Fall ist sie ein gesellschaftsge-staltendes Element. Professor Mitterauer weist darauf hin, daß faschistische Regime stets alte patriarchalische Familienformen geschätzt haben, daß in Diktaturen die Demokratie deswegen so schwer einzuführen sei, weil die kleineren Einheiten - wie die Familien - noch stark monokratisch aufgebaut sind.

Insofern kann die Familie auch zur Demokratisierung des Gesellschaftssystems beitragen, indem das Bewußtsein in den primären Gruppen partnerschaftlicher statt herrschaftsabhängiger gestaltet wird. Mitterauer sieht daher eine wichtige Aufgabe darin, die Forschungen im Rahmen der Lehrerfortbildung in die Lehre umzusetzen: „Man muß neue Väter und Mütter erziehen, die mit ihren Kindern partnerschaftlicher umgehen, damit diese Kinder dann ein

partnerschaftlich-demokratisches Verhalten im großen zu praktizieren in der Lage sind.“

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