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Ohne Brutalität

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Der Titel dieses außerordentlichen Buches über Konfrontationen und Interventionen — übrigens nicht nur in der modernen, sondern oft genug auch in der „vergangenen“ Welt, der des Kolonialismus — postuliert mehr, als die Darlegungen des Autors im einzelnen hergeben. Schwarz, jahrzehntelang Redaktor der „Neuen Zürcher Zeitung“ und jetzt Professor für strategische Wissenschaften in Genf, kann insgesamt zwar den Rückzug aus dem totalen Krieg im Denken von Staaten und Völkern konstatieren — eine Abkehr von der Gewalt dagegen widerlegen seine eigenen Darstellungen leider aufs neue. Sie ist domestiziert und läuft an der Leine des schlechten Gewissens, aber diese Leine ist lang. Die Rüstungsausgaben in der Welt betragen noch immer ein mehrfaches dessen, was für den sozialen Sektor oder gar für die Entwicklungshilfe aufgewendet wird.

Diese kritische Vorbemerkung erscheint notwendig, um das Interesse des Lesers gleich auf den Untertitel dieses Buches zu lenken: Konfrontation und Intervention in der modernen Welt. Konfrontation ist eine „Phase des kalten Krieges, in dem der Konflikt sich einer Krise nähert oder in der er durch eine Reihe von Krisen mit wechselnder Heftigkeit hindurchgeht“. Diese Formulierung des Amerikaners Alastair Buchan, die der Autor übernimmt, definiert am schlüssigsten den Vorgang — die Schilderung der Krisen um Berlin, angefangen bei der Blockade 1948 über die ultimative Erklärung Chruschtschows im Jahr 1958 bis zur Errichtung der Mauer im dramatischen Jahr 1961, erläutert mit wünschenswerter Deutlichkeit, welche Risiken jeweils dabei eingegangen werden. Es ist immer aufs neue ein Ritt auf dem Bodensee — nur daß der Reiter hier die Gefahr kennt, das Risiko kalkuliert und sich furchtloser gibt, als ihm in Wirklichkeit zumute ist. Am Ende — das beweist auch der Ausgang der Konfrontationen am Suez, in Kuba, um die „Pueblo“ und im Fernen Osten am Fluß Ussuri, um nur einige der Beispiele anzuführen — sind beide Seiten froh, wenn sie sich mit Anstand aus der Affäre ziehen können. Konfrontationen werden auch weiterhin die politische und militärische Szene zwischen den Groß- und Supermächten

— nur sie können sich diesen teuren Sport leisten — bestimmen, das ist sicher.

Anders steht es um die Interventionen. Hier handelten und handeln Große an Kleinen, spricht Sendungsbewußtsein und Arroganz, ist nicht der Wille zum Kampf, sondern zur politischen Veränderung im Spiel. Hat die Intervention ihr begrenztes Ziel erreicht, wird sie auch schon meist beendet. Ausnahmen, wie der unglückselige Vietnamkrieg, bestätigen nur die Regel, welche etwa von Korea, wo beide intervenierenden Parteien ihr Ziel erreichten, und der CSSR, die nach der sowjetischen Intervention wieder zum zuverlässigen Satelliten wurde, bewiesen wird.

Es ist dem Autor zu danken, daß er vor allem bei der Erhellung der ideologischen Konzeption, die jeweils zu Doktrinen führte, deren Folge wiederum Interventionen wurden, selbst keinerlei Ideologie verfällt. Die merkwürdige Mischung von Philanthropie und Anmaßung, die bis in die jüngste Zeit nord-amerikanische Interventionsdoktrinen auszeichnete — erst die Ära Nixon brachte hier einen Wandel — ist ebenso klar geschildert wie die sowjetischen Hegemonialansprüche bis hin zur — im Original abgedruckten

— Breschnew-Doktrin aus dem Jahr 1968.

Man kann bedauern, daß sich die Geschichte der Völker, vor allem der Großmächte, noch immer am besten mit Kategorien wie Konfrontation und Intervention, die dem militärischen Denken und Handeln entstammen, beschreiben und erhellen läßt. Nach der Lektüre dieses Buches mischt sich in das Bedauern aber doch die Hoffnung, daß die Leine des schlechten Gewissens kürzer wird und die Sprünge der Großen dadurch kleiner werden.

ABKEHR VON DER GEWALT. Von Urs Schwarz. Konfrontation und Intervention in der modernen Welt. Econ-Verlag, Düsseldorf, Wien 1971. 306 Seiten.

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