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Ohne den Tod und die Toten leben?

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Vom 16. bis zum 18. März findet erstmals in Wien eine offizielle Volksbefragung statt. Eine der vier Fragen schneidet die Grundwerte Leben, Tod und Pietät an: Sollen 16 kleine Wiener Friedhöfe ab 1995 in Parkanlagen umgewandelt oder - auch ohne Neubelag - erhalten bleiben? Es handelt sich sicherlich nicht nur um ein stadtplanerisches Problem. Deshalb leuchtet der Psychologe Wilfried Daim für die FURCHE den Hintergrund aus.

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Vom 16. bis zum 18. März findet erstmals in Wien eine offizielle Volksbefragung statt. Eine der vier Fragen schneidet die Grundwerte Leben, Tod und Pietät an: Sollen 16 kleine Wiener Friedhöfe ab 1995 in Parkanlagen umgewandelt oder - auch ohne Neubelag - erhalten bleiben? Es handelt sich sicherlich nicht nur um ein stadtplanerisches Problem. Deshalb leuchtet der Psychologe Wilfried Daim für die FURCHE den Hintergrund aus.

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Unser modernes Leben zeichnet sich unter anderem durch eine besonders intensive Verdrängung des Todes aus. Wie Heidegger richtig zeigte, wird der Tod zum „Todesfall" - der einen nichts angeht - degradiert. Dies ist in einer hedonistisch ausgerichteten Ökonomie nur zu nahehegend, wobei nur die „Todesindustrie" Interesse an der Bewußt-werdung des Todes hat. Und, wie die US-Tpdesindustrie zeigt, diese tut alles, um selbst den Toten als Lebenden zurechtzuschminken.

Dies ist auch vom Standpunkt der Diesseitsreligionen verständlich, da der Tod etwas ist, von dessen Existenz man nichts wissen will.

Am besten wäre es, es würden die Toten sofort, nachdem sie gestorben sind, aus unserem Wahrnehmungsbereich verschwinden. Sie zentrali-stisch an einem wohl umgrenzten Platz zu begraben, ist da einfach eine Kompromißbildung, da ihr lautloses Liquidieren nicht möglich ist. Möglichst wenig soll uns an sie erinnern, und daran, daß wir sterblich sind.

Nun kommt heute wohl noch ein zusätzliches Verdrängungselement hinzu. Denn heute zeichnet sich nicht nur ein jeweils individueller Tod ab, sondern auch der der Menschheit. Denn die Wahrscheinlichkeit eines Menschheitssuizids, des Menschheitsselbstmordes, wird immer größer. Die „Overkill capacity" soll zur Zeit zumindest 50fach sein.

Da die Möglichkeit zur Selbstliquidierung der Menschheit nie mehr aus der Welt verschwinden wird, ist es naheliegend, daß der Mensch von ihr auch irgendeinmal Gebrauch machen wird. Hiezu kommt, daß es in der Logik der „Abschreckung" liegt, daß die jeweils eine Seite bereit ist, lieber eine Apokalypse auszulösen, als die andere Seite siegen zu lassen. Ohne diese letzte Bereitschaft gibt es keine Abschreckung.

Und die Leute spüren die Unterminierung ihrer Zukunftshoffnungen. So denken die meisten Menschen kurzfristig optimistisch, wobei die Frist immer kürzer wird, langfristig pessimistisch.

Aber von einer wirklich offenen Konfrontation mit einem heranrük-kenden Ende der Menschheit will man natürlich auch nichts wissen. Man ahnt es, und tief unten weiß man es - aber man will es nicht wissen.

Solch eine tiefe Infragestellung der Existenz der Menschheit führt nun zu dem, was man journalistisch „Tanz auf dem Vulkan" nennt Dieser hysterisch übersteigerte Lebenshunger hat nur diesen journalistischen, keinen sozialpsychologischen Namen. So erklärt sich Drogensucht, Alkoholismus und auch jener überdrehte Sexualismus, wie er speziell die USA heimsucht.

Das Todesproblem wird nunmehr umso mehr verdrängt, ein scheinbar übersteigertes Leben überlagert die Konfrontation mit dem universellen und kollektiven Ende.

Will man in der „Wahrheit leben" und mit der Wahrheit leben - man will das nur, wenn man sie hebt -sollte man auch mit den Toten leben, so paradox das klingen mag.

Man lebt schlecht mit ihnen. Protzig und geschmacklos erheben sich die Grabsteine in den Friedhöfen, auch der Tod wird mit Prestige verknüpft. Wie armselig. Davon sollte man weg.

Aber statt eines gewaltigen - sozialisierten - Totenablageplatzes wäre es richtig, viele kleine Friedhöfe zu schaffen. So wie Kinder, Erwachsene und Alte gemeinsam leben sollten, sollten sie auch noch mit den Toten leben können. Man sollte also viele zusätzlich kleine Friedhöfe schaffen statt einer einzigen riesigen Tote nzentrale.

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