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Panzer oder Stiefel?

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Es war in den heißen Tagen des August 1970, da bemühte sich damals eine Kommission, dem Reformobjekt Bundesheer ein neues Profil, einen neuen Zuschnitt zu geben. Die Öffentlichkeit, noch mehr aber das Heer selbst, wartet seither vergebens, daß dieser Prozeß eingeleitet wird. Die Pläne, wie immer wieder versichert wird, seien bereits fertig. Nun — was hindert also die Verantwortlichen, sie endlich zu realisieren?

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Es war in den heißen Tagen des August 1970, da bemühte sich damals eine Kommission, dem Reformobjekt Bundesheer ein neues Profil, einen neuen Zuschnitt zu geben. Die Öffentlichkeit, noch mehr aber das Heer selbst, wartet seither vergebens, daß dieser Prozeß eingeleitet wird. Die Pläne, wie immer wieder versichert wird, seien bereits fertig. Nun — was hindert also die Verantwortlichen, sie endlich zu realisieren?

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Das Ergebnis der Reformkommission, Frucht langer Debatten eines mit selektierten Zivilisten durchsetzten Gremiums von Generalen (denselben Generalen übrigens, die bis zum Beginn der Reformarbeit für den Zustand des Reformobjekts ver-r antwortlich zeichneten), wurde zwar publiziert, in einem entscheidenden Punkt aber bereits verworfen. Die in den Beratungen erarbeitete künftige

Organisationsform galt bald nach ihrer Fertigstellung als kaum realisierbar. Was war geschehen? Dieselben Männer, die für den bisherigen Zuschnitt unseres Verteidigungsinstrumentes verantwortlich zeichneten, blieben Gefangene ihrer Vorstellungen. Sie orientierten sich keinesfalls an den gewandelten Sicherheitskonsequenzen der Außenpolitik eines neutralen Kleinstaates, sondern fußten auf eigenen Erfahrungen aus dem zweiten Weltkrieg, die 1955 immerhin zehn Jahre alt waren.

Schwergewicht Panzertruppe

Was kurz nach dem Staatsvertrag mangels finanzieller und materieller Mittel nicht zu verwirklichen war, nämlich eine starke Motorisierung und Mechanisierung des Heeres, wurde allmählich und mit wachsender Konsequenz in Angriff genommen. Stand am Beginn des Bundesheeres acht Infanteriebrigaden nur der Embryo einer Panzerwaffe, die Panzertruppenschule, gegenüber, so sollte nach letzten Vorstellungen zu den drei vorhandenen Panzergrenadierbrigaden mindestens eine weitere Jägerbrigade „umgepanzert“ werden. In einer schlagkräftigen Panzerwaffe sahen viele Offiziere die einzige Möglichkeit, den fast völlig mechanisierten Armeen unserer Nachbarstaaten Paroli bieten zu können. Als prominentester Vertreter solcher Vorstellungen galt lange Zeit der 1. Kommandant eines heimischen gepanzerten Verbandes, der nunmehrige Generalmajor Span-nocchi. Er steht nun aber an der Spitze einer Gruppe von Offizieren, die zur Umkehr ruft. Verständlicherweise muß er sich den Vorwurf einer mangelnden Richtungsstabilität gefallen lassen. Oder ereilt ihn damit bloß das Schicksal aller Vorreiter für neue Gedanken?

Zur Zeit der neunmonatigen Dienstzeit und eines ausreichenden Kaderstandes lag die Problematik einer Mechanisierung des Bundesheeres in erster Linie im Kostenbereich. Die Rücklaßgeschenke der Besatzungsmächte führten zur berühmten „Schmetterlingssammlung“ mit all ihren Schwierigkeiten auf dem Instandhaltungssektor. Mit der Anschaffung des amerikanischen Panzers M-60, der Panzerhaubitze M-109 gleichen Ursprungs und des Aufbaus einer eigenen österreichischen „Panzerfamilie“ auf der Basis eines Fahrgestelles der Saurer-Werke, schien mit Ausnahme des dazugehörenden Fliegerabwehrschutzes die Panzertruppe ihr Auslangen zu finden. Doch speziell die Frage des Luftschutzes für die gepanzerten Kolosse führte an die Grenzen der eigenen finanziellen Möglichkeiten. Kostenpunkt eines modernen Fliegerabwehrpanzers: 40 Millionen Schilling. Geschätzte Kosten für ein Panzerfahrzeug der nächsten Generation: 40 Millionen.

Der Krieg in Vietnam, letztlich der Versuch und das Scheitern des nordvietnamesischen Strategen Giap in der diesjährigen Osteroffensive, das Heil in einer Operation klassischen Zuschnitts zu suchen, stimmten auch heimische Militärdeniker nachdenklich. Ist es möglich, mit einer Miniausgabe der großen Panzerverbände des Westens, noch mehr aber des Ostens, gegen die Vorbilder zu bestehen?

Spannocchi verneint diese Frage heute ziemlich klar. Seiner Ansicht nach hat es keinen Sinn, sich mit unserem schwachen Schild einer Panzerwaffe einer Schlacht im offenen Gelände zu stellen. In einem von ihm kürzlich veröffentlichten Artikel sieht er dies so: „Im Verteidigungsfall werden die bisher bereitgestellten Instrumente nicht ausreichen. Sie bergen die Gefahr, in einer An-fangsschlacht, womöglichst am verkehrten Ort, allzu leicht vernichtet zu werden.“ Das neue Modell sieht ein territorial verankertes Sicherheitssystem vor, mit (im Prinzip) infanteristischen Kräften, mit dem das gesamte Land überzogen werden soll.

Spannocchi will die Technik nicht mit der Technik, sondern mit dem Menschen, dem Infanteristischen Kämpfer, „unterlaufen“. Denn die modernen Heere der europäischen Paktstaaten, die auf die technologische Ausrichtung der Gegenseite abgestimmt sind, verfügen über fast keine Infanterie mehr.

Die Kehrtwendung kommt natürlich etwas rasch und trifft auf eine völlig unvorbereitete und verunsicherte Zuhörerschaft: Wenn sich schon die Militärs nicht einig sind, welchen Reim soll sich dann der Laie machen? Es wäre also höchste Zeit, die neuen Konzepte einer breiten Diskussion zuzuführen. Ansonst entsteht allzu leicht der Eindruck, daß nicht das Ergebnis der Analyse des modernen Kriegsbildes der Vater des neuen Konzepts ist, sondern vielmehr die Notwendigkeit, ein möglichst billiges Verteidigungsinstrument zu schaffen. Und Stiefel für Infanteristen sind nun einmal billiger als Panzerketten.

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