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Prophetisch und ratlos

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Jahrhundertelang nie verlegen um Antworten auch auf Fragen, die ihr niemand stellte, sieht sich heute die Kirche vor ein Problem gestellt, das ihre moralische Zuständigkeit ebenso herausfordert, wie es ihre politische überfordert: die Friedensfrage.

Immer wieder ist Johannes Paul II. hin- und hergerissen zwischen seinem prophetischen Radikalismus, der ihn „am Horizont die fatalen apokalyptischen Reiter der atomaren Katastrophe" erkennen läßt (Neujahrspredigt 1984), und seinem politischen „Realismus, der die Beibehaltung des Prinzips der legitimen Verteidigung erfordert" (Weltfriedenstag 1984).

Nicht anders ergeht es den katholischen Bischöfen, wobei dann nicht nur scholastische Spitzfindigkeit und Bekennermut zum Vorschein kommen, sondern auch ganz einfache, fast banale Abhängigkeit: vom Land, in und mit dem man lebt.

Was nützt zum Beispiel die Unterscheidung zwischen der Anwendung und dem bloßen Besitz von Atomwaffen, wenn bloße Besitz-Abschreckung nicht wirksam werden kann?

Die deutschen Bischöfe zerbrechen sich den Kopf über die Chancen der Kriegsverhütung mittels Abschreckung und über die Ris-ken der „wachsenden Unkontrollierbarkeit des Nukleareinsatzes"; sie stellen dafür als moralisches Kriterium die These auf: „Bereits bestehende oder geplante militärische Mittel dürfen Krieg weder führbarer noch wahrscheinlicher machen."

Ehrlicherweise fügen sie aber hinzu: „Es ist uns klar, daß wir mit dieser Forderung an einen kaum auflösbaren Widerspruch stoßen. Denn Waffen sind als Abschrek-kungsmittel nur wirksam, wenn ihr Einsatz auch glaubhaft angedroht werden kann."

Dieser Widerspruch stört die französischen Bischöfe kaum; natürlich müsse man sich, um keine Illusionen beim Angreifer zu erwecken, „entschlossen zeigen", zur Tat zu schreiten, falls die Abschreckung versagen sollte.

Dabei trösten sie sich mit einem logischen Rückwärts-Salto: Drohung bedeute ja nicht schon Ein^ satz; auch sei „nicht offenkundig", daß die Unmoral des Atomwaffeneinsatzes auch schon die Drohung damit unsittlich mache. Demnach wäre z. B. nur der Mord, nicht aber die Morddrohung zu verurteilen — es sei denn, ein guter Zweck heilige das Mittel?

Die Gegenfrage der amerikanischen Bischöfe, ob man denn überhaupt etwas „androhen darf, was man nicht tun darf", versuchen die westdeutschen mit einem Dosierungsvorschlag zu beantworten: Es dürften eben nur solche und so viele Massenvernichtungswaffen bereitgestellt werden, wie zur kriegsverhütenden Abschreckung „gerade noch" erforderlich seien; vor allem dürfe keine Überlegenheit angestrebt werden.

Genau dies, nämlich „den Drang zur Überlegenheit über den möglichen Gegner", erkennen aber die DDR-Bischöfe als die gefährliche innere Logik des Wettrüstens. Da sie wie ihre westdeutschen Amtsbrüder in einem Staat leben, der selbst über keine Atomwaffen verfügt, jedoch Partner und Aufmarschgebiet einer Atomgroßmacht ist, machen sie es sich nicht so leicht wie die französischen Bischöfe.

Sie formulieren am deutlichsten auch das Dilemma, das jeden Versuch einer moralischen Untermauerung atomarer Abschrek-kungsstrategien brüchig macht:

„Wenn überhaupt, ist die Androhung von Gewalt nur dort zu rechtfertigen, wo diese überzeugend die Gerechtigkeit, die Freiheit und die Sicherheit eines Volkes gegenüber offensichtlicher Böswilligkeit verteidigt. Aber bekanntlich sind gerade die Begriffe Gerechtigkeit und Freiheit in der Welt recht umstritten."

Erst das Zweite Vatikanische Konzil strich 1965 den schillernden Begriff des „gerechten Kriegs" aus seinen Beschlüssen und verurteilte jede Kriegshandlung, „die unterschiedslos auf Zerstörung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Einwohner gerichtet ist, als Verbrechen gegen Gott und die Menschen" („Gaudium et Spes", Nr. 80).

Atomare Abschreckung dürfe nicht als „Ziel an sich" betrachtet, könne aber als „vorläufiges" Mittel gegen einen ungerechten (!) Angriff „nicht verworfen werden", meinte Kardinalstaatssekretär Casaroli in San Franzisko (Oktober 1983).

Wenn aber „die ganze Menschheit in Todesgefahr schwebt", so daß der Papst am 12. November 1983 die wissenschaftlich-technischen Produzenten dieses Todes sogar zur Dienstverweigerung aufrief, wie lange kann dann die von Nachrüstung zu Nachrüstung eskalierende Abschreckung noch für moralisch annehmbar gehalten werden?

Offenkundig ist die Papstkirche mit dem Zerfall jenes Teils ihrer Selbstgewißheit, der sie stets der politischen Geographie des Bösen ganz sicher machte, in die Phase eines (für sie) neuartigen Pluralismus geraten. Deshalb sprechen ihre Bischöfe in den verschiedenen Ländern heute mit verschiedenen Stimmen zur Schicksalsfrage der Menschheit. Machtloser denn je, beteiligt sich die Kirche am endlosen Friedensdialog einer friedlosen Welt.

Stark gekürzte Version einer Langfassung.

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