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Rennerts Falstaff

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Karl-Robert Danler

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Karl-Robert Danler

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Noch vor Salzburg und Bayreuth federt man im Isar-Athen Fes'tspiel-triumphe und es besteht in München tatsächlich Grund zur Freude, denn Rennert hat Verdis „Falstaff“ so brillant in Szene gesetzt und Sawallisch hat ihn so hinreißend sprudelnd dirigiert, daß es die Besucher der Premiere förmlich aus den Sesseln hob. „Falstaff“ war Verdis letzte Oper. Eine aus Altersweisheit gewonnene Heiterkeit charakterisiert dieses Werk. Die Uraufführung fand am 9. Februar 1893 in der Mailänder Scala statt. Im wesentlichen geht Verdis „Falstaff“ dieselben Wege wie Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“, doch bezieht sich das nur auf den Text. Musikalisch erhebt sich Verdis letztes Meisterwek über seine Zeit, sein Jahrhundert, Seine Epoche. Der ausgezeichnete Libre'ttist, Arrigo Boito, ein dichterisch veranlagter, hochmusikalischer Mann, ließ jede überflüssige Figur aus dem Spiel, so daß bei Verdi der Junker Spärlich und Mr. Page fehlen. Weggelassen wurde auch das Erscheinen Falstaffs als dicke Frau von Brentford. Hinzugefügt wurden indessen das Dienerpaar und die Mrs. Quickly. Mit der Schlußfuge „Alles ist Spaß auf Erden“, krönt Verdi dieses Werk, das zweifellos den künstlerischen Höhepunkt seines Gesamtoeuvres darstellt. —

Hier setzt Rennert an, die Schlußfuge hat er schon bei Beginn des ersten Bildes als Ziel vor Augen, mit Dietrich Fischer-Dieskau gelingt es Rennert, Spaß auf höchster Ebene auszutragen, diese Komödiantik bleibt zugleich auch immer geistreich, die Posse hat bei Fischer-Dieskau keine Chance, um so mehr jedoch die Pose : einmal galant, dann witzig, einmal selbstgefällig, dann auftrumpfend, einmal derb, dann wieder zart und verspielt. Rennerts Regiekunst hat drei besonders gravierende Höhepunkte: Tm ersten Bild gibt es ein Gaunertrio, wie es in den hervorragendsten Shake-speare-Iszenierungen des Sprechtheaters nicht exemplarischer anzutreffen ist. Von Fischer-Dieskaus Sir John Falstaff angeführt, übertreffen einander Kieth Engens Pistol und Gerhard Stolzes Bardolf an Schlaumeierei, Pfiffigkeit und Schurkerei. Wie vital ist doch dieser Günther Rennert, mit welcher Besessenheit arrangiert er in diesen Szenen alle Positionen, Gesten und Gebärden,wie sehr erschwert er Münchens Opernfreunden den Gedanken an das Ende dieser Ära im Jahr 1976!

Ein zweiter Höhepunkt ist das Zusammentreffen zwischen dem eitlen, siegessicheren Falstaff und dem bis zum Zerplatzen eifersüchtigen Herrn Ford. Rennert läßt Fischer-Dieskau und Thomas Tipton (beide in stimmlicher Höchstform) um eihander herumtänzeln, zieht ein unglaublich intensives Katz-und-Mausspiel ab und findet zu einer geradezu beängstigend perfekten Charakterisierung. Und noch ein unvergeßlicher Eindruck: Die Stimmung im sechsten Bild — wieder kommt echte Shakespeare-Atmosphäre auf, ein kleiner Sommernachtstraum wird zur Realität und die aufgescheuchten Wesen des Waldes beschwören noch einmal die wundersame Tierwelt aus Rennerts Münchner „Zauberflöte“ herauf.

Natürlich haben es die Damen in dieser genialen Komödie schwer. Um so besser sollten sie besetzt sein, aber hier war nicht alles festspielwürdig. Leonore Kirschstein (Alice), Hertha Töpper (Mag Page) und Carol Smith (Quickly) waren zuverlässig, erreichten das Niveau der übrigen Besetzung jedoch nicht. Allein Reri Grist in der Partie des Ännehen konnte sich — im Hinblick auf das künstlerische Format — emanzipieren. Friedrich Lenz als Doktor Caju und Claes-Haakan Ahnsjö in der Rolle des Fen'ton rundeten das Ensemble mit guten Leistungen ab.

Wolfgang Sawallisch zeichnete niit dem glänzend disponierten Bayerischen Staatsorchester Rennerts szenische Konzeption so genau nach, daß man von einer absoluten Synthese von Musik und Darstellung — als besonders in diesem Alterswerk Verdis immer wieder erstrebtem Ideal — sprechen kann.

Die letzte Konsequenz wäre wohl mit dem italienischen Originaltext zu finden gewesen, doch Sawallisch versuchte, auch in deutscher Sprache die Tempi und Phrasierungen so authentisch wie nur möglich zu realisieren (wozu ihm eine Photokopie von Verdis handschriftlicher Partitur vorliegt, die ihm an der Madländer Scala als kostbares Dankesgeschenk überreicht wurde). Die musikalische Deutung Sawallischs ist etwas hart und trocken, aber zwingend in ihrer Kompromißlosigkeit. —

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