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Operntrümpfe

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Das bunte, fahnenbestückte Straßenbild rund um das Nationaltheater war ein erstes, äußeres Zeichen für den Beginn der Münchner Festspiele 1971, Zaungäste säumten die Anfahrt der Premierentiger, Damen der Gesellschaft polierten mit langen, schweren Roben die Stufen zum Porticus auf Hochglanz, und in den Innenräumen sorgten prachtvolle Blumenarrangements für das bayerisch-barocke Flair, das ein Besucher der Olympiastadt erwarten darf.

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Das bunte, fahnenbestückte Straßenbild rund um das Nationaltheater war ein erstes, äußeres Zeichen für den Beginn der Münchner Festspiele 1971, Zaungäste säumten die Anfahrt der Premierentiger, Damen der Gesellschaft polierten mit langen, schweren Roben die Stufen zum Porticus auf Hochglanz, und in den Innenräumen sorgten prachtvolle Blumenarrangements für das bayerisch-barocke Flair, das ein Besucher der Olympiastadt erwarten darf.

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Aber die den Zuschauerraum füllende Prominenz kann so „high“ gar nicht sein, als daß sie sich nicht vor der Künstlerprominenz der Bayerischen Staatsoper geschlagen geben müßte, mit der Staatsintendant Dr. Günther Rennert seinen ersten großen Trumpf ausspielte: „Die schweigsame Frau" von Richard Strauss, von ihm selbst als ein Brillantfeuerwerk in die rabenschwarze Nacht der Theaterkrisenbeschwörungen geschossen, sekundiert vom neuen Münchner „General" Wolfgang Sawallisch, der diese schwierige Partitur wie ein Geschmeide aus ungezählten Edelsteinen aufblitzen ließ (Bayerisches Staatsorchester in Höchstformat!) und tnefflich unterstützt von Rudolf Heinrich, der Bühnenbild und Kostüme in eine bezaubernde Synthese von Shakespeare plus Hofmannsthal zu binden wußte, ohne dabei die Autoren Ben Jonson und Stefan Zweig zu verdrängen.

„Die schweigsame Frau“ wird relativ selten gespielt, man sagt ihr nach, Strauss sei hier als Parodist des barocken Buffospdels nur virtuos, aber nicht sehr erfinderisch oder gar inspiriert gewesen. Diese Meinung haben Rennert und Sawallisch gründlich revidieren können, sie haben in vorbildlicher Gemeinsamkeit von szenischer und musikalischer Konzeption, genau den rechten Ton für diese ins Rokoko übertragene, altenglische Komödie gefunden, der in erster Linie deftig ist, bisweilen aber auch, in der Abendsonne des Lebens, mild gestimmt und von leiser Resignation umspielt erscheint Strauss war bei der Niederschrift immerhin 67 Jahre alt). Rennert hat es nicht schwer, uns den eigenbrötlerischen und lärmempfindlichen, ehemaligen Admiral „Sir Morosus“ glaubhaft zu machen, auch uns setzt der Lärm tagtäglich zu und eine „schweigsame Frau" ist uns, nach tatkräftig vollzogener Emanzipation, ein noch weiter in die Feme entrückter Wunschtraum geworden! Die Titelheldin spielt — einmal „Aminta“, einmal „Timida" — eine Doppelrolle. Sie ist die Frau des als „primo tenore" mit seiner ganzen Komödiantentruppe nach London zurückgekehrten „Henry“, seines Zeichens Neffe des Admirals. Als „Sir Morosus“ das Komödiantendasein seines Neffens gewahr wird, enterbt er ihn sofort, doch wird er durch die Scheinheirat mit einer „schweigsamen Frau“ sowie von weiblicher List so sehr hinters Licht geführt, daß er am Ende froh ist, die ihm Anvertraute wieder los zu sein, zum Dank dafür die Erbschaft erneut für rechtskräftig erklärt und dem Ehepaar „Henry-Aminta" seinen Segen spendet.

Den artifiziellen Teilen dieser „komischen Oper in drei Aufzügen“ — die sich einer breiteren Beliebtheit des Werkes entgegenstellen und die nur zu überspielen sind, wenn man — wie Rennert — ein lückenloses Spitzenensemble einsetzen kann — stehen sehr nachdenklich- versonnene Partien gegenüber. Bekanntlich hat Strauss die Herren der Schöpfung nur spärlich an seinen melodischen Geistesblitzen teilhaben lassen, hier aber stattete er den „Morosus“ mit zwei Passagen von einsamer Schönheit aus: irgend wen zu wissen, für den man da ist — ja, das war’ schön“ und: „ … in dieser Stunde, die uns verbindet." Rennert, dem es gelungen ist, jeden einzelnen Akteur zu charakterisieren (man denke nur an die Komö- diantentruppe mit Reri Grist, Lotte Schädle, Glenys Louis, Benno Kusche, Albrecht Peter und Max Proebstl), läßt auch diese Stellen ausspielen, die schon einen Anflug von Altersweisheit in sich tragen und Wolfgang Sawallisch, der schon das Vorspiel sehr zügig dirigierte und mit Esprit in das Zitatenarchiv der Partitur griff, sorgt hier für das nötige „con amore". Barry McDaniel ist ein spielfreudiger, quicklebendiger ,.Barbier“, Martha Modi eine Perle von „Haushälterin“ und Donald Grobe zeichnet den „Henry“ sehr sympathisch, wenn auch die stimmlichen Grenzen nicht überhörbar sind. Mittelpunkt ist Kurt Böhme als „Sir Morosus“. Dieser von Schwierigkeiten strotzenden Partie kommt man nur mit der Überzeugungskraft des Herzens bei. Kurt Böhme konnte sich gesanglich und darstellerisch noch einmal in einer Weise steigern, wie es die kühnsten Hoffnungen nicht zulassen wollten, und er stand verdienter Weise — flankiert von sämtlichen Mitwirkenden — im Mittelpunkt der lang anhaltenden Ovationen.

• Der Charles-Veillon-Preis für den deutschsprachigen Roman wurde in Zürich dem im Ost-Berlin lebenden tschechischen Erzähler Jurek Bekker für seinen im Luchterhand-Verlag erschienenen Roman ,Jakob der Lügner“ zugesprochen.

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