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Orff und Penderedki

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Es hat schon viele Diskussionen über die akzentuierte Pflege des zeitgenössischen Musiktheaters durch den Intendanten der Bayerischen Staatsoper, Dr. Günther Bennert, gegeben, obwohl eine völlig gesunde Relation von traditionellem und modernem Opernschaffen in München besteht. Aber allen Gegenargumenten trotzend, scheint Bennert den längeren Atem zu haben, und während die „Woche der zeitgenössischen Oper“ im Jahre 1968 nur einen spärlichen Besucherkreis angesprochen hat, ist die „Moderne Woche der Bayerischen Staatsoper“ von 1970 zu einem für alle Beteiligten überraschenden, eindeutigen Erfolg geworden. Durch Reduzierung der Preise wurde ein Kreis von Interessenten — vor allem jüngere Leute — erfaßt, der ja in erster Linie dafür prädestiniert sein sollte, aber auch die älteren Semester waren zahlreich vertreten und es gab Ovationen für Zimmermanns „Soldaten“, den eigens angesetzten Ballettabend und Orfls „Prometheus“.

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Es hat schon viele Diskussionen über die akzentuierte Pflege des zeitgenössischen Musiktheaters durch den Intendanten der Bayerischen Staatsoper, Dr. Günther Bennert, gegeben, obwohl eine völlig gesunde Relation von traditionellem und modernem Opernschaffen in München besteht. Aber allen Gegenargumenten trotzend, scheint Bennert den längeren Atem zu haben, und während die „Woche der zeitgenössischen Oper“ im Jahre 1968 nur einen spärlichen Besucherkreis angesprochen hat, ist die „Moderne Woche der Bayerischen Staatsoper“ von 1970 zu einem für alle Beteiligten überraschenden, eindeutigen Erfolg geworden. Durch Reduzierung der Preise wurde ein Kreis von Interessenten — vor allem jüngere Leute — erfaßt, der ja in erster Linie dafür prädestiniert sein sollte, aber auch die älteren Semester waren zahlreich vertreten und es gab Ovationen für Zimmermanns „Soldaten“, den eigens angesetzten Ballettabend und Orfls „Prometheus“.

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Die Eröffnung der Experimentenbühne, „Die Geschichte von Aucas-sin und Nicolette“ von Bialas und Bergs „Lulu“ mit Anja Silja in der Titelpartie standen noch aus. Ein rundes Jahr ist es her, daß Vaclo Kaslik, zusammen mit dem Dirigenten Michael Gielen und dem Bühnenbildner Josef Svoboda, Zimmermanns „Soldaten“ im Nationaltheater exemplarisch realisiert hat. Die Aufführung hat nichts von Ihrer Spannung und Intensität verloren und das Werk selbst konnte seine epochale Bedeutung als eine Artikulation pluralistischen Theaters festigen. Ebenso unumstritten bestätigte Sich Orffs ,Prometheus“ als ein Werk, das seine elementare Kraft aus der Gültigkeit des antiken m Stoffes bezieht. Die musikalische H Leitung lag erneut in den Händen Michael Gielens, die Regieführung August Everdings ist gut ausgewogen zwischen oratorisch-statuari-scher Stilisierung und dramatischer Aktion und die darstellerischen Kräfte der Bayerischen Staatsoper, einschließlich Chor und Orchester, legten Zeugnis ihres, selbst für München außergewöhnlichen Standards ab.

Mit Spannung erwartete -man das Gesamtgastspiel der Württembergi-schen Staatsoper, Stuttgart,., mit Pendereckis „Die Teufel von Lou-dun“ in der Inszenierung Günther Rennens. Spektakuläre Berichte und Kritiken waren dieser Aufführung vorangegangen, aber es paßt wohl nichts so treffend zu diesem Werk, als das Fazit, das Siegfried Borris in seinem Aufsatz: „Zum Selbstverständnis der modernen Oper“ niedergeschrieben hat: „Noch durch die exaltierte Pathetlk von zelebriertem Sadismus und Teufelsspuk schimmert — und wäre es für Augenblicke: — das Antlitz des Menschen im Heute.“ Nun haben die sehr widersprüchlichen Reaktionen — ein lautstarkes Gemisch aus Bravo- und Buh-Rufen — nach dieser Münchner Erstaufführung gezeigt, daß man mit dem Pathos des Grauens, wie es hier in sehr realistischer Form demonstriert wird, vorsichtig umgehen muß. Zwei Schwächen hat dieses Opus: Ein schlechtes Textbuch und eine substanzlose Partitur. Pen-derecki hat “Selbst aus den Schilderungen von Aldous Huxley und John Whiting ein Libretto erstellt und demnach persönlich zur Simplifizierung mittelalterlicher Praktiken von Teufelsaustreibungen beigetragen. Man kann das Mittelalter nicht so einfach zum Zeithintergrund stempeln, die religiösen, politischen,philosophischen und soziologischen Strömungen dieser Epoche waren wesentlich differenzierter als das etwa heute der Fall ist, und man kann daraus nicht eine abendfüllende Oper machen und sich auch noch einbilden, modernes Musiktheater exemplifiziert zu haben. Die zweite Schwäche ist in der Musik Pendereckis zu suchen, die ganze Strecken hindurch nur als Klangteppich Verwendung findet und die sonst nur aus Klangfarbenschichtungen, Streicher-Glissandi oder rasend aufwärtsstrebenden Holzbläserflgu-ren in Flätterzungentechnik besteht.

Auch die szenische Bewältigung ist in exemplarischer Weise gelungen. Rennert hat sich in seiner leidenschaftlichen Regieführung auf die Individualschicksale konzentriert, hat aber auch die mordgierige, brutale, sensationshungrige Masse ebenso fasziniert darstellen können. Wie mit dem Meißel schlägt Rennert die Persönlichkeit des „Vater Gran-dier“ aus der schalen Handlung heraus und gibt ihr überdimensionale, ja prophetische Konturen. Es beweist den souveränen Szeniker, wie Rennert durch die scharfe Profilierung deS „Mannoury“ (Klaus Bertram) und des „Adam“ (Richard Holm) Kontraste zu setzen versteht. Carlos Alexander ist ein überragender „Grandier“, Colette Lorand eine wahrhaft besessene „Schwester Jeanne“, und George Fouriö ein fanatischer „Vater Barre, doch fällt es schwer, einzelne Namen zu nennen, bei einer so großartigen Ensembleleistung. Trotz aller Problematik und trotz mannigfacher Einwände war dieses Stuttgarter Gastspiel dazu angetan, die lebendige Auseinandersetzung mit dem Musiktheater unserer Tage voranzutreiben.

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