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Mensch, trage still...

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Einiges muß vorab gesagt und geklärt werden. Erstens: Jan Cikker s Oper ,Das Spiel von Liebe und Tod“ nach Romain Rolland (Text vom Komponisten, Deutsch von Kurt Honolka) will nicht zur Lösung von Problemen des Müsiktheaters beitragen, sondern ist, als was sie sich ausgibt, eine Oper. Der mit Cikkers Werk am besten vertraute Dirigent der Uraufführung, Vaclav Neumann, brachte die Musik mit „Hindemith, Honegger oder Hartmann“ in Verbindung und bezeichnete ihren Stil, gewiß nicht zur Abwertung, als „romantischen Modernismus“. Zweitens: Es hat aus diesem Grunde keinen Zweck, Takt für Takt zu beklagen, was er nach den Maßstäben der Avantgarde; nicht leistet. Cikkers Oper kann nur an dem Anspruch gemessen werden, den sie an sich selber stellt. Davon bleibt unberührt, daß sie im historischen Stellenwert falsch liegt; sie kommt verspätet, repetiert Vergangenes. Drittens: Cikkers Musik spiegelt wider, was provinzielle Gemüter ein „echtes Anliegen“ zu nennen pflegen; ein tschechischer Kommentator „definiert“ es mit „quälendem Ringen um die Unvergänglichkeit der Humanität“.

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Einiges muß vorab gesagt und geklärt werden. Erstens: Jan Cikker s Oper ,Das Spiel von Liebe und Tod“ nach Romain Rolland (Text vom Komponisten, Deutsch von Kurt Honolka) will nicht zur Lösung von Problemen des Müsiktheaters beitragen, sondern ist, als was sie sich ausgibt, eine Oper. Der mit Cikkers Werk am besten vertraute Dirigent der Uraufführung, Vaclav Neumann, brachte die Musik mit „Hindemith, Honegger oder Hartmann“ in Verbindung und bezeichnete ihren Stil, gewiß nicht zur Abwertung, als „romantischen Modernismus“. Zweitens: Es hat aus diesem Grunde keinen Zweck, Takt für Takt zu beklagen, was er nach den Maßstäben der Avantgarde; nicht leistet. Cikkers Oper kann nur an dem Anspruch gemessen werden, den sie an sich selber stellt. Davon bleibt unberührt, daß sie im historischen Stellenwert falsch liegt; sie kommt verspätet, repetiert Vergangenes. Drittens: Cikkers Musik spiegelt wider, was provinzielle Gemüter ein „echtes Anliegen“ zu nennen pflegen; ein tschechischer Kommentator „definiert“ es mit „quälendem Ringen um die Unvergänglichkeit der Humanität“.

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Es handelt sich also um Gesinnungsmusik von einer vertrackten Eindeutigkeit; sie kann keine kritische Distanz haben zum Text, weil sie mit den Figuren leidet. Viertens: daran, daß diese Gesinnung redlich sei, ist nicht zu zweifeln. Genauso redlich ist die Musik: Sie setzt keine Effekte, die nicht aus der dicht am Wort verlaufenden Faktur motiviert sind; sie zeichnet nicht äußere, sondern seelische Vorgänge — und wenn die Seele Kitsch produziert (was vorkommt), tut sie.es halt auch. Vor der harten, gegenwärtigen Wirklichkeit verschließt sie sich eher, sie hat einen Zug zur Askese; ihre emotionale Grundlage ist Resignation. Von die-

sem Moment der Enttäuschung, nur im Zusammenhang mit dem politischen Leid in der CSSR zu sehen (Cikker ist Slowake, fast sechzigjährig), spricht schon Neumann. In ästhetischer Hinsicht wäre zu fragen, ob pure Redlichkeit ein Wert sein kann. Fünftens und letztens: man mag der Meinung sein, daß Romain Rollands Schauspiel, sich der französischen Revolution bedienend, ein idealistisches Rührstück und passe sei, aber in Prag gehen die Uhren anders. Der Stoff hat dort Brisanz. Wenn der Vorhang im Münchner Nationaltheater sich öffnet, ist ein srün=oanieer Krmpelsaal zu sehen, hineingestellt ein Zimmer, dessen

Wände, so ahnt man, wohl bald transparent würden. Cikker, auf Überhöhung bedacht, hatte drei nahezu dekorationslose Spielebenen vorgeschlagen; Regisseur Günther Rennert und seine Bühnenbildnerin Jta Maximowna befürchteten offenbar Unverbindlichkeit und fixierten den Spielraum. Die Oper hebt an mit ein paar sforzato-geschärften Aller-weltsakkorden. Jeröme de Courvoi-sier — eine Baßbariton-Partie, mit der Kieth Engen die bezwingendste Leistung des Abends liefert — muß zur Sitzung des Konvents aufbrechen, seine Frau Sophie — jugendlichdramatischer Sopran — singt ein Arioso; der Mitleidston wird geprägt, von Charlotte Berthold etwas wächsern, aber mit Empfindsamkeit und schöner Höhe gestaltet. An der Antwort des Jeröme wird vor allem die zaghafte Polyphonie des Orchestersatzes deutlich, die Grenze von dessen Selbständigkeit. Sophie beklagt ihr Alleinsein mit Choruntermalung; der Chor, eingesetzt zur Überhöhung des Gedanklichen, bleibt nach Cik-kers Willen bis auf den Schluß unsichtbar. Rennert läßt ihn überhaupt nicht auftreten, leitet aber die Stimmen über Lautsprecher in den Zuschauerraum. Diese Chorszenen unterliegen starker Abnutzung. Von der Mitte des pausenlosen 100-Minu-ten-Werkes an wirken sie enervierend.

Drei junge, lebenslustige Besucher treten ein, singen volkstümlich: mit dem Pathos verbindet sich ein Liedelement. Zu scharfen Kontrasten wagt sich Cikker nicht vor. Das ist ein entscheidendes Manko der Musik: sie gewinnt bei allem Reagieren auf die Situationen keine Plastizität, tönt unter dem Dialog weg, ist verwechselbar und in ihren Veränderungen vorhersehbar. Claude Vallee tritt auf, verfolgter Girondist, abgerissen, dem

Zusammenbruch nahe; Donald Grobe hat Gelegenheit zu tenoraler Schmerzgeste. Sophie liebt ihn, wagte aber nie den letzten Schritt. Jetzt wird er verfolgt, singt davon, wie er und seine Gefährten von allen Freunden abgewiesen wurden: wie erwartet, werden die Wände transparent; wenn Vallee vom „Tod im Nacken“ spricht, wird dieser Tod bildhaft. Das war zwar Rennerts Zutat, aber er erfüllte damit den Verdoppelungstrend, der dramaturgisch im Werk angelegt ist. Dazu tönen geräuschhaft, ebenfalls mit Willen des Komponisten, die Reden im Konvent vom Band. Cikker desavouierte mit den theatralischen Szenenanweisungen den rezitativischen Gestus des Berichts, seine eigene Zurücknähme alles Dramatischen aus einer Szene, die am stärksten dem Tag verpflichtet ist: sie schildert das hündische Kriechen von Opportunisten. „Appassionato“ zieht der Rhythmus an, wird der Gestus heftiger, wenn die Häscher kommen: Revolutionspöbel bricht in das Haus ein, sucht Vallee. In dieser theatralisch wirksamsten Szene enttäuscht Rennert; er inszeniert Naheliegendes, verwendet stereotype Gesten. Fritz Uhl als Anführer des Haufens zeichnet eine scharf durchgearbeitete Studie. Zuvor aber singt der Chor in simpel-süßem, Choral -ähnlichem Duktus folgenden (allerdings aus dem Lautsprecher unverständlichen) Text des Komponisten: „Mensch, trage still dein schweres Kreuz, füge dich! Du mußt entsagen, klaglos! Und lerne, daß Einsamkeit dein Los ist, dein Los!“ Vdclau Neumann sorgte für eine intensive Aufführung, der Erfolg war enorm. Man mag ihm dazu nicht gratulieren, dem redlichen, gesinnungsintegren Jan Cikker.

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