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Stuttgarter Gastspiel „Jephta“ und „Jenufa“

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Nach zwei Aufführungen von Wagners ..Parsifal“ brachte das Ensemble der Stuttgarter Oper eine Novität für Wien: „J e p h t a", H ä n d e 1 s letztes großes Oratorium (an dem er in den Jahren 1750 und 1751, fast völlig erblindet, arbeitete), für eine szenische Darstellung eingerichtet von Caspar N e h e r und Günther Rennert. Der erstere schuf auch das imposante Bühnenbild und die Kostüme, Öünther Rennert leitete das Spiel und zum Teil die Choreographie (haft' er's doch allein getan und nicht Dore Hoyer zugezogen, von der die komisch stilisierten und gezierten Schritte der Priesterinnen stammen — der einzige Schönheitsfehler dieser prächtigen und noblen Inszenierung). Die Bühne: ein mächtiges, stufenförmig ansteigendes Halbkreisrund; mit dem Rücken zum Publikum, links und rechts im Vordergrund: die fünf Hauptdarsteller; im Hintergrund, sitzend, ein 50-Mann-Chor; vor diesem 24 Sänger und Sängerinnen in Spieltracht: der kleine Bewegungschor, der alles muß und kann. Die beherrschende Bühnenfarbe: braunrotgold. die Kostüme: silbergrau und verwandte Töne mit Vieu-rosė und Gold. Dazu: prächtige, mattglänzende Schilder und Standarten, Masken, Tempel- und Kriegsgerät, eine barocke Sänfte und anderes, alles von erlesenem Geschmack. Dem noblen Prunk dieses Rahmens entspricht auch die Regie von Günther Rennert. Sie ist einfallsreich und locker zugleich. Mit sicherer und leichter Hand gruppiert er den Bewegungschor, zieht einzelne an die Rampe, läßt die Hauptakteure vortreten und ihre Partie singen, dann setzen sie sich ganz ungezwungen wieder, alles ohne Krampf und absichtsvolle Stilisierung. Das Ganze wirkt frei und würdig zugleich, eine reine Freude. — Das Spiel, dessen Handlung aus dem Buch der Richter stammt, handelt von Jephta, dem jüdischen Feldherrn, der aus Dankbarkeit für den Sieg das erste ihm bei der Heimkehr begegnende Wesen seinem Gott '•’ova opfern will. Es ist Iphis, die liebliche Toch die aber, auf Weisung eines Engels (hier eines Propheten), nicht getötet, sondern als Priesterin in den Tempel entrückt wird. — Unter den Hauptdarstellern sind drei jüngere Kräfte; ihre sorgfältige Schulung bezeugt und verbürgt ein echtes Ensemble, aus dem wenigstens zwei hervorgehoben seien; Josef Traxel in der Titelpartie und Friederike Sailer als Iphis. — Ferdinand Leitner musizierte mit dem Orchester und den Chören klangschön, kraftvoll und sauber.

Leoš Janäceks „Jenufa" wurde 1916 in Prag uraufgeführt und zwei Jahre später an der Wiener Hofoper „auf allerhöchsten Wunsch“ elfmal geetwa zehn Jahren eine bald wieder- vom Spielpimfende einęm der originellsten und packendsten der ersten Jahrhunderthälfte, gebührt ein Ehrenplatz im Repertoire der Staatsoper. Möge das Gastspiel der Stuttgarter als Hinweis dienen.) Janäöeks Musik scheint unter freiem Himmel entstanden zu sein und ist reinster Naturlaut. Die Macht des Bösen und die dramatischen Ausbrüche haben dämonische Gewalt, daneben steht Zartestes und Anmutigstes. — Diesen weiten Bogen hat auch die Regie Günther Rennerts. Er macht veristisches Theater mit tieferer Bedeutung. Wie Rennert etwa im ersten Akt allmählich eine Tanzszene sich entwickeln läßt oder wie er später den Mädchenchor, dann zum Schluß die Volksmenge führt, ist meisterhaft und kaum zu übertreffen. — Wieder waren, wie vorher in „Parsifal"und in „Jephta“, sämtliche Hauptrollen musterhaft, die Nebenrollen mit größter Personalkenntnis und sorgfältig besetzt. Einprägsame Charakterstudien und hervorragende sängerische Leistungen boten:

Lore Wissmann in der Titelpartie als schöne, heißblütige und unglückliche Jenufa, der man ihr Kind tötet; Josef Traxel und Fritz Uhl als die beiden ungleichen Liebhaber, der eine die verkörperte Anrüchigkeit, der andere als schwerfälliger, ehrlicher Dorfbursche. Eine wahrhaft dämonische Gestalt, zum Verwechseln ähnlich der bösen Alten in Tolstojs „Macht der Finsternis“, stellte Grace Hoffman hin, und Res Fischer gab der alten Buryja versteinerte, matriarchalische Züge — eine schauspielerische Glanzleistung. Leni Bauer-Ecsy bevölkerte das düstere Bühnenbild mit bunten, sehr differenzierten Kostümen. — Janäöeks raffinierter, die mittlere Lage -jfür» die Singstinųnen. aussparender Orchestersatz 5wurde von Ferdinand L e 11 n e r am Ęult sensibel und energisch zum Klingen gebracht. Das Stuttgarter Orchester spielte diese schwierige Partitur, als sei sie von Lortzing. — Das Publikum der Abonnementvorstellung war erst betroffen von der Gewalt der Musik und der Darstellung. Dann erholte es sich, begriff — und applaudierte lebhaft.

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