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Roter Maghreb?

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Während in Kairo die Präsidenten Ägyptens, Syriens und Libyens ihrer islamisch-restaurativen Dreierföderation einen Präsidenten, eine Hauptstadt und einen effektiven Bundesmechanismus gegeben haben, hat der sowjetische Ministerprä- sident Kossygin Algerien und Marokko besucht.

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Während in Kairo die Präsidenten Ägyptens, Syriens und Libyens ihrer islamisch-restaurativen Dreierföderation einen Präsidenten, eine Hauptstadt und einen effektiven Bundesmechanismus gegeben haben, hat der sowjetische Ministerprä- sident Kossygin Algerien und Marokko besucht.

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Besteht kein Zweifel mehr daran, daß die von Sadat, Assad und Gaddafy ins Leben gerufene „Konföderation Arabischer Republiken“ neben dem nationalen Zusammenschluß und der Sammlung des antiisraelischen arabischen Potentials auch der Abhaltung der kommunistisch-atheistischen Variante des Sozialismus von den islamischen Kemländem dienen soll, obgleich die außenpolitische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit Moskau davon kaum beeinträchtigt und bei Präsident Sadats anstehender Rußlandreise sogar intensiviert werden dürfte, so hat Kossygin in Algier und dann noch einmal verschleierter in Marokko die Wende von der russisch-nationalen zu einer weltrevolutionären Nahostpolitik der Sowjetunion verkündet. Zu dieser Grundsatzerklärung hatte sich der Regierungschef des Kreml nicht nur durch den eklatanten Mißerfolg der russischen Macht- und Stützpunktpolitik in Ägypten, Syrien, Libyen und dem Sudan veranlaßt gefühlt, die seit dem Ausscheiden Chruschtschows aus der aktiven Politik ganz in die Geleise des alten zaristischen Drängens nach dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean geraten war. Vor allem ist aber der westliche Maghreb eine der wenigen Zonen im arabischen Raum, wo sich Moskau nicht nur auf Absicherung seiner Position und den Aufbau einer vielleicht später einmal revolutionsbereiten Industriegesellschaft beschränken muß, sondern unvermittelt ein starkes klassenkämpferisches Potential ansprechen kann.

Zuzug aus Südamerika

In Algerien ist der utopische Sozialrevolutionär Ben Bella zwar schon am 19. Juni 1965 durch den eher konservativen Obersten Houani quartieren hausender, unterbezahlter Gelegenheitsarbeiter der Städte, hat sich seit 1965 von zwei auf fünf Millionen erhöht, was fast die Hälfte der um die zwölf Millionen liegenden algerischen Gesamtbevölkerung ausmacht. Sind diese Unglücklichen, denen es zudem meist am fatalistischen Gottvertrauen des Ägypters und Libyers fehlt, zu jedem gewaltsamen Verbesserungs versuch ihrer Lage bereit, so müssen zu dem revolutionären Potential Algeriens auch die etwa zwei Millionen der „neuen Elite“ in Staatsverwaltung, der Einheitspartei FLN und sonstigen Organisationen gezählt werden, die dem alten Proletariat der Kolonialzeit zu entstammen pflegen. Die „Nationale Arbei- tervereinigung“ (UGTA) mit ihren 150.000 Aktivisten auf den Staatsgütern und 20.000 Industriearbeitern, die trotzkistischen Studentenbünde und die hochpolitisierten Selbstverwaltungskomitees der Kollektivbauern sind weitere Exponenten des Klassenkampfes, denen die selbst wieder einmal in einem Säuberungsprozeß befindliche Armee immer machtloser gegenüber steht.

Noch profilierter liegen die Verhältnisse im gesellschaftlichen Unterbau des Noch-Königreichs Marokko. Zwar mußte Kossygin vor der Besichtigung von Bergwerken und Industrieanlagen König Hassan II. die Hand schütteln, obwohl man im Kreml vor Monaten bei Planung der Maghrebreise vielleicht sicher mit dem Erfolg der in letzter Minute vereitelten marokkanischen Julirevolution gerechnet hatte. Der Aufenthalt der sowjetischen Delegation war aber dennoch eine starke Ermutigung für die gewerkschaftlich und im linken Flügel der Oppositionspartei Istaqlal weit besser als in Algerien organisierten revolutionären Kräfte. Allerdings wird Kossygin bei seinen hier verkündeten Plänen der Entmilitarisierung und Revolutionierung des Mittelmeerraumes noch in Betracht ziehen müssen, daß Marokko nach Ägypten immer noch das stärkste Bollwerk des islamischen Theismus in der arabischen Welt bildet.

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