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Schwarze Chronik
Zehn kommunistische Abgeordnete reichten den beiden Häusern des Parlamentes eine Motion „für die wirksame Bekämpfung der überhandnehmenden Kriminalität“ ein. Zur Abhilfe schlagen die KPI- Vertreter die Reorganisation der Polizei, die Schaffung einer Justizpolizei, erhöhte Löhne und bessere Erziehung der Polizisten vor.
Anders der Vorstoß von 130 prominenten Christdemokraten. In einer eigenen Eingabe bezeichnen sie als Gründe der um sich greifenden Kriminalität:
• Rasche Verbreitung des Wohlstandes und hektische Suche danach;
• Veröffentlichung unzüchtiger Schriften und Schauspiele;
• Untergrabung der Moral und Fehlen fester Bezugspunkte;
• häufig erlassene Amnestien, welche die Ungefestigten hoffen lassen, selbst bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auch bei schlechtem Verhalten im Gefängnis vorzeitig entlassen, vielleicht überhaupt nicht eingekerkert zu werden.
Zur Verbrechensbekämpfung schlagen die Exponenten der Demo- cracia Cristiana vor:
• Verschärfung der Strafen für häufige, die Gesellschaft besonders treffende Verbrechen, beispielsweise Morde aus geringfügigen oder abwegigen Beweggründen, Raub, Verwendung von Schußwaffen auf öffentlichen Straßen und Plätzen, Entführung (Banditenwesen);
• Abschaffung der Amnestie, wenigstens für diese Strafbestände;
• verschärftes Vorgehen gegen Rückfällige, verbesserte Überwachung der mehrmals Strafentlassenen.
Daß es sich bei diesen Vorstößen der zehn kommunistischen und 130 christlich-demokratischen Abgeordneten auch um politische Schachzüge handelt, ist jedem klar, der den erbarmungslosen Kampf der italienischen Parteien, voll hinterlistiger Übertölpelungen und Erpressungen aller Art, verfolgt. Italien rüstet für die Gemeindewahlen vom 13. Juni, die abermals einen Prüfstein für die Gültigkeit des Regierungskurses links von der Mitte abgeben sollen. Schneiden Christlich-Demokraten, Republikaner, Linkssozialisten und Sozialdemokraten, jede für sich oder wenigstens vereint, gut ab, so kann sich der Centro-Smistra-Kurs, derart mit dem Segen des Wählers ausgestattet, eher über Wasser halten, als wenn er auch noch an den Urnen von der Rechts- und besonders von der Linksopposition in die Enge getrieben wird.
Die Schwarze Chronik der letzten Zeit bietet überdies so viele Greueltaten, daß sich die Verbrechensbekämpfung zum politischen Kapital erster Ordnung ausschlachten läßt. Wer sich da hervortut, steht vor der Öffentlichkeit im Kleid des Makellosen und Gerechten da, der mehr als andere um andere besorgt ist.
Folgende Verbrechen haben den Ruf nach Wiedereinführung der Todesstrafe erneut verstärkt:
• Ermordung der 14jährigen Milena Sutter, Tochter eines Schweizer Industriellen in Genua, durch einen Sittlichkeitsverbrecher.
• Raubüberfall auf ein Pelzgeschäft auf der Via Nazionale und anschließende merkwürdige Rechtfertigung des 22jährigen deutschen Mörders Manfred Becker („Die bürgerliche Gesellschaft ist stark, um stärker zu sein, mußte ich LSD nehmen").
• Dutzend Entführungen von Großgrundbesitzern und anderen reichen Leuten auf Sardinien, neuerdings auch auf dem Festland.
• Die seltsame „Kontobereinigung“ der Mafia in Sachen „unsaubere Geschäfte des Obersten Staatsanwalts Scaglione“.
Während die Volkswut nach Rache schreit, muß der nüchterne Beobachter die Forderung nach einer parlamentarischen Debatte einer kritischen Prüfung unterziehen. Das kommunistische Plädoyer für eine Reorganisation der Polizei (weniger politische Überwachung und mehr Bekämpfung der „Unpolitischen“) bedarf keiner weiteren Erklärung. Merkwürdiger die christlich-demokratische Eingabe. Sie ist durch den verwirrenden Gegensatz zwischen der allgemeinen Begründung und den Vorschlägen zum Anlaß besonderer verbrechenbekämpfender Maßnahmen gekennzeichnet. Nun wird mit dem Schrei nach Verschärfung der Strafen Zuflucht bei der uralten Abschreckungstheorie genommen, dabei kommt eine bedenkliche Selbstgerechtigkeit der „braven Bürger“ gegen die „bösen Gesetzesbrecher“ zum Ausdruck.
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