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Ganz andere Musik soll ertönen: Musik von Interpreten, die sich einen Komponisten zum Berater nehmen, statt umgekehrt, Musik von Gruppen, in denen womöglich Komponisten, Interpreten und Laien zusammenwirken, Musik nach Konzepten, wohei diese auch immer kommen. Nicht länger, so der Schweizer Hans Wüthrich, will der Tonsetzer „Flaschenpost-Künstler“ sein, der auf der Insel seiner Abgeschiedenheit vom Alltag haust und „dem Meer der Öffentlichkeit“ Werke anvertraut in der Hoffnung, irgend jemand werde die Flaschen schon an Land ziehen, den Inhalt „lesen“ können und für wichtig halten.

Ein Konzept von Wüthrich sieht folgendes vor: Der Komponist möge sich einen „kulturellen Partner“ suchen -einen, der „Hilfe und Solidarität nötig“ hat; er möge dann mit dem Partner über dessen Arbeit sprechen, über seine Kollegen und Vorgesetzten, ein Arbeitspsychogramm aufzeichnen, die Umwelt (vor allem die akustische) des Partners erforschen, ein Umwelt-psychogramm aufzeichnen. Das gleiche soll in Hinsicht auf die Freizeit des Partners geschehen. In einer weiteren Arbeitsphase werden Geräusche und Klänge aufgenommen, die den Partner umgeben und auf ihn einwirken; zusammen mit dessen Lieblingsstücken ergibt sich so ein „akustisches Porträt“. Aber nicht das ist das Ziel, sondern das Auffinden der „anderen“, der unterdrückten Gefühle: ihnen soll musikalischer Ausdruck gegeben werden und diesen Ausdruck gilt es, nach eigens dafür gefundenen Regeln zu „komponieren“. Das Werk wäre dann ein gemeinsames von Komponist und Partner, der sich darin wiedererkennen würde, fähig vielleicht, eines Tages ohne fremde Hilfe eines zu gestalten - und dann sein Leben besser zu gestalten, aktiv zu werden in Umwelt und Gesellschaft.

Der Komponist Dieter Schnebel, seit kurzem Hochschullehrer in Berlin, formulierte vor einigen Jahren einen ähnlichen Gedanken: Der Musiker und Künstler als Sozialhelfer. Dergleichen hegt in der Luft. Im schweizerischen Boswil - auf dem 4. Internationalen Komponisten-Seminar unter dem Motto „Der Komponist als Mitarbeiter“ - hat Hans Wüthrich mit Schülern seine .Anleitung zum Aufbau einer Klangstraße: Quo vadis“ realisiert; wohin zu gehen war, nämlich durch Klangräume mit verschiedenen „Gesichtern“, hatte der Komponist mit der ihm anvertrauten Klasse freilich festgelegt Aber damit war das Wesentliche schon getan, das gemeinsame „Machen“ der Straße, das Finden und Erfinden von Instrumenten, Spielstationen, Hörstationen, Partner-Stationen mit der Aufgabe, musikalisch zu „fragen“ und zu „antworten“, Reize auszusenden und zu reagieren. Das Wichtigste schien mir die Regelung der Zeit zu sein, die Sensibilisierung des inneren Zeitsinns: „Stell Dir vor, eine Fliege krabble vom linken Ende zum rechten Ende des Brettes...“, „... es schwebe eine Flaumfeder von der Decke herunter, spiele solange, bis...“

Die Veranstalter (Stiftung „Alte Kirche Boswil“) hatten gehofft: der Komponist werde „als solidarischer Mitarbeiter Anstöße geben, die auf den verschiedensten Ebenen des Musik-Machens in Erscheinung treten“. Hat sich diese Hoffnung erfüllt? Wohl kaum! Vor allem die Interpreten hielten sich mit brauchbaren Vorschlägen auffällig zurück. Es gab ein interessantes technisch-musikalisches Projekt, das visuell und akustisch, womöglich durch Selbsterfahrung erlebt sein wollte - mit Ultraschallwellen, die eine beliebige Bewegungsfolge in synchrone Klangbewegungen umwandeln; es gab eine aufschlußreiche (englische) Gruppenkomposition, an der sich der - psychologisch-musikalische - Arbeitsprozeß deutlich abzeichnete. In einem (amerikanischen) Beitrag zum schon tot geglaubten instrumentalen Theater traten Personifizierungen der multinationalen Konzerne -erstaunlicherweise: neben dem Amerikaner, dem Europäer, dem Araber, dem Japaner, ein Russe! - als überlebensgroße Popanze auf, sich selbst und die Welt zugrunde richtend.

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