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Tückische Reformer

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„Die KP ist jetzt einfach die Organisation der Anhänger der bestehenden Macht, genauer genommen die Organisation derjenigen, die gesellschaftliche Präferenzen nur deshalb erlangen, weil sie gewillt sind, die augenblicklich herrschende Machtgruppe zu unterstützen.”

Das schreibt Zdenek Mlynar, einer der Initiatoren der „Charta 77”, 1977 aus der C*SSR emigriert. Sein knapp zehn Seiten langer Aufsatz über das „Aktionsprogramm der KPC* 1968 nach 10 Jahren” ist einer der Lichtpunkte in dem Sammelband „Opposition ohne Hoffnung”, welchen der Rowohltverlag herausgab.

Gleichfalls verdienen die Materialien, sowohl aus der Tätigkeit der „Charta” in der CSSR, sowie jener von „KOR” und „ROBOTNIK” in Polen mit ihren Zeugnissen leidvollen Engagements für Meinungsfreiheit und Menschenrechte gespannteste Aufmerksamkeit. Hier, vor allem bei den polnischen Kämpfern um Adam Mich-nik, wird eine wirkliche Alternative, die den Namen Opposition verdient, sichtbar, i

Der stattliche Rest des Buches gehört jedoch zu der nun schon überreichlich vorhandenen Literatur von Selbstrechtfertigung jener, die seit 1945 - mal in Ehren, dann wieder in Unehren - der Kommunistischen Partei der £ssr dienten: die verstoßen, wieder angenommen, zu Schlüsselpositionen vor und während des „Prager Frühlings” gekommen und dann überwiegend emigriert waren, als die „Normalisierung” Husaks den alten stalinistischen Zustand wiederherstellte.

Sie, die Hejzlar, Kosta,” Pelikan, Liehm wehren sich auch in den Aufsätzen dieses Sammelbands vehement dagegen, je etwas anders als Kommunismus im Sinn gehabt zu haben, wenn sie ihren Beitrag zu dessen Reform, spätestens ab 1963, schildern. Mehrfach werden die eurokommunistischen Ansätze Westeuropas als Spiegelschrift dessen, was sie selbst chiffriert sagten - in wirtschaftlichen, politischen und gewerkschaftlichen Neuorientierungen - beschworen.

Nur: wie der zweite Schritt, nach dem übervorsichtigen ersten ihrer Reformen, hätte aussehen müssen - darüber schweigen sie sich aus.

Dieses Schweigen haben jedoch die Emigranten gebrochen: Sie, die mehr als Hunderttausend, ehemals sämtlich Nutznießer jener Segnungen, welche die gleichfalls emigrierten Exfunktio-näre noch heute nicht aufgegeben wissen möchten - sie wollten keine Opposition innerhalb der KP (die wievielte seit 1945!), sondern eine wirkliche Alternative zu einem System, das die Trägen belohnt und die Fleißigen bestraft, das unentwegt im Namen des Volkes zu handeln vorgibt und sich um dessen Wünsche doch immer nur dann notgedrungen kümmert, wenn der Unmut, wie in Polen, zu offener Rebellion wird.

Ihrer, der Emigranten, Alternative lautet: nicht der Stalinismus war schuld an der Pervertierung eines segensreichen Systems, sondern diesem überständig gewordenen Konglomerat -nenne es sich nun Sozialismus, Kommunismus oder schlicht Marxismus -ist die Tendenz zum Stalinismus angeboren. Seine zeitweilige Außerkraftsetzung ist lediglich taktisch bedingt.

Die Weltrevolution bedarf, um salonfähig zu werden, nicht zuletzt einer „Opposition” in den eigenen Reihen. Kommt es zum Offenbarungseid, sind diese „Oppositionellen” alle auf Seiten jener Revolutionäre, welche die selbstgewählte Freiheit wirklich demokratischer Länder lieber heute als morgen beerdigen möchten.

Fazit: Die Schweiz erlegt jenen, die als Flüchtlinge tatkräftig ihr Leben frei von unmenschlichen Zwängen gestalten können, im politischen Bereich weitgehend Schweigen auf. Den meisten Autoren dieses Bandes wünschte man, sie würden sich freiwillig an ein solches Gebot halten.

OPPOSITION OHNE HOFFNUNG? Jahrbuch zu Osteuropa 2. Herausgegeben von Manfred Wilke und Jifi Pelikan. Rowohlt-Verlag, rororo, Hamburg 1979. 264 Seiten, öS 67,80

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