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Unbeliebte Helden wider Willen

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Wir alle handeln und denken elitefeindlich, weil wir Mit- und Gegenglieder einer satten Gesellschaft sind, die auch noch in ihrer Frustration selbstzufrieden ist. Pointiert und streitbar stellt ein Soziologe dazu seine - zu Widerspruch einladenden -Überlegungen zur Diskussion. Ein grundsätzliches Thema, das nicht nur, aber auch Österreich betrifft.

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Wir alle handeln und denken elitefeindlich, weil wir Mit- und Gegenglieder einer satten Gesellschaft sind, die auch noch in ihrer Frustration selbstzufrieden ist. Pointiert und streitbar stellt ein Soziologe dazu seine - zu Widerspruch einladenden -Überlegungen zur Diskussion. Ein grundsätzliches Thema, das nicht nur, aber auch Österreich betrifft.

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„Wenn ich schon das Wort .Abendland' höre, entsichere ich meinen Revolver...!" Verblüfft hörte ich dem Mann zu. Ich verstand ihn nicht. Das lag nicht nur an meinen schon damals mangelhaften deutschen Sprachkenntnissen - die Zeit und ich - letzterer ein frischgebackener Ungarn-Flüchtling - waren 35 Jahre jünger als heute -, sondern an der Tatsache, daß ein ÖGB-Funktionär so etwas in einer Gewerkschaftsschulung sagt. -Heute weiß ich es besser: Für die „Linken" war das „Abendland" höchstens eine Gute-Nacht-Sendung im Radio.

Obwohl die „Linken", und ich freue mich nicht darüber, unwiderruflich im Aussterben sind - und sogar die künstlich hochgespielte „Neonazi-Gefahr" sie nicht mehr wiederbeleben kann - lebt eines ihrer Vorurteile munter fort: die Abneigung gegen alles, was „elitär" ist.

Ein verhängnisvolles Vorurteil

Ich kann, so gerne ich es auch täte, hier und jetzt keine „Eliten"-Diskussion entflammen, sondern muß mich auf ein einziges Beispiel beschränken: An Hand der politischen Eliten will ich die Bedeutung des elitären Handelns und Denkens im öffentlichen Leben, das wir auf den Begriff „Politik" minimieren und verabscheuen, skizzieren. - Wie falsch, fatal und verhängnisvoll dieses Vorurteil ist, zeigt unter anderem die gefährliche Politik- und nicht Politiker-Verdrossenheit junger Frustrierter.

Wer profitiert aus dieser (Nicht-)Einstel-lung unserem eigenen Leben gegenüber?

Kleinformatige Kolumnisten und ebensolche Polit-Populisten (Verzeihung: aber aus allen Parteien!) schöpfen den für sie versüßten Sauerrahm ab.

Das Fehlen der politischen Eliten hat einer der wenigen wirklichen Eliten in der Politik, der vor 70 Jahren ermorderte deutsche Außenminister und Industrielle, Walther Rathenau, mit einem heute noch gültigen markanten Satz beschrieben: „Beliebt machen sich nur solche (Politiker), die aussprechen, was alle hören wollen, und was alle hören wollen, ist in der Regel falsch."

Politische Eliten machen sich immer unbeliebt. So auch Rathenau, der während des Ersten Weltkrieges unaufhörlich gegen „Sieg" und Wahnsinn wetterte - und sich nach der Niederlage sofort der Regierung zur Verfügung stellte. Indem er den sicheren und bestenä dotierten Sessel eines AEG-Präsiden-ten zugunsten des selbstmörderischen Schleudersitzes eines Ministers tauschte, zeigte er die Haupttugenden elitärer Menschen: Reden ohne Handeln ist wie Trinken ohne Flüssigkeit.

Politische Eliten, und dazu gehören nicht nur Walther Rathenau, sondern alle großen Religions- und Unruhestifter (Moses, Jesus, Mohammed, Gandhi) nehmen immer Stellung statt Rücksicht. Und das kostet sie meist das Leben.

Politische Eliten (ich verspreche, keinen vierten Absatz mehr damit zu beginnen) sind rar, weil ihre Widersacher groß an der Zahl sind:

□ Die Interessenvertreter („Lobbyisten") sind Seelenkäufer und -tröster, Bremser, aber auch Stabilisierer und sind nicht der Betreffenden, sondern nur der Beteiligten (Sozial-)Partner.

□ Parteien und (auch) Kirchen entsenden ihre Söldner in alle nur möglichen Gremien und sichern damit Macht und Einfluß.

□ In Wirklichkeit sind auch die selbsternannten Gralshüter der (parteifernen) Moral, die Medien, Eliten-Verhinderer, da ihre beeinflußende Berichterstattung nur selten der Sache und fast immer dem politisch-persönlichen Hjcldiack dient.

□ Elitetötend sind schließlich auch die Wähler, die nur selten logisch entscheiden und sich gerne von populistischen Schreibern und Schreiern verführen lassen.

Wir alle handeln und denken elitefeindlich, weil wir Mit- und Gegenglieder einer satten Gesellschaft sind, die auch noch in ihrer Frustration selbstzufrieden ist.

Männern wie Walther Rathenau, Frauen wie Bertha von Suttner - die Friedensnobelpreisträgerin war auch Begründerin der ersten Aktion gegen den Antisemitismus - sind Mahner und Macher und schrecken auch vor den harmlosesten Übeltätern genauso wenig zurück wie vor den üblen Verharmlosern.

Es gibt kaum Menschen in der Politik, die Macher und Mahner zugleich sind. Während die beiden Verhinderten, Oskar Lafontaine in Deutschland und Rudolf Streicher in Österreich, Macher, aber keine Mahner sind, gehören Richard von Weizsäcker und Rudolf Kirchschläger zu den Mahner,' die wiederum keine Macher sind.

Wer will schon frühzeitig enden?

Österreich ist ein Land der Kultur-, aber nicht der politischen Eliten, da ihm der Mut jüdisch-protestantisch-liberaler Großkapitalisten fehlt. Nicht so in Deutschland, wo es doch einige Macher und Mahner auf der politischen Bühne, die allesamt aus der Wirtschaft kamen, gab. Alfred Herrhausen, der Chef der Deutschen Bank gehörte genauso dazu wie der Treuhand-Boß Detlev Rohwed-der oder der bereits mehrfach erwähnte Walther Rathenau. Es ist auch kein Zufall, daß Herrhausen mit 59, Rohwedder mit 58 und Rathenau mit 54 Jahren ermordet wurden.

Helden wider Willen sind die politischen Eliten. Und wer will schon so und frühzeitig enden?

Sicherlich niemand, und erst recht nicht in Österreich, dessen katholisch-barocke-ge-mütliche-sozialpartnerschaftliche Tradition bequem-behaglich, aber für politische Eliten nicht sonderlich förderlich ist.

Peter Stiegnitz ist Soziologe und Autor von „Eliten - Stützen der Gesellschaft" (Atelier-Verlag, Wien).

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