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Verteidigung gehört diskutiert!

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Zehn Jahre sind es her, daß in unserem Nachbarland das Experiment eines Kommunismus mit menschlichem Antlitz von 200.000 Soldaten des Warschauer Paktes brutal niedergetrampelt worden ist. Obwohl in Österreich nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung militärische Auseinandersetzungen im eigenen Lande befürchtet, haben in diesen so denkwürdigen Tagen Fragen der militärischen Sicherheit wieder erhöhten Stellenwert: Was wäre, wenn Österreich durch einen größeren Konflikt mitbetroffen wäre? Wenn Österreich Ziel einer Aktion ähnlich jener in der CSSR wäre? Oder wenn auch nur ein Teil unseres Landes angegriffen würde?

Der Ministerrat hat heuer die Neugliederung der raumgebundenen Landwehr des Bundesheeres beschlossen. Grundlage dieser Neugliederung ist das „Konzept der Raumver- teidjgung“, das eine Unterteilung des Bundesgebietes in Zonen unterschiedlichen Wertes beinhaltet. Diesem Wert wird jeweils die Härte des Widerstandes angepaßt, lautet die offizielle Erklärung.

Welche Folgen und Erfordernisse diese Neuorganisation nun für das Bundesheer bringt, darüber wurde bisher recht wenig veröffentlicht. Im Landesverteidigungs-Bericht 1973 wurde die damals noch als Gesamtraumverteidigung bezeichnete Konzeption so definiert: „Das System der Gesamtraumverteidigung basiert auf der Zusammenziehung starker beweglicher Verbände ' (Bereitschaftsverbände und taktisch bewegliche Landwehrkräfte) in operativ entscheidenden Räumen sowie auf einer starken und wirkungsvollen Sicherung des gesamten übrigen Staatsgebietes an taktisch wichtigen Abschnitten und Punkten durch raumgebundene Kräfte (territoriale Landwehr).“

Was beinhaltet nun die Konzeption der Raumverteidigung wirklich? Einen gewissen Aufschluß verschafft die aus der Feder des Armeekommandanten Emil Spannocchi stammende Publikation „Verteidigung ohne Selbstzerstörung“. Spannocchi, einer der geistigen Väter der neuen Konzeption, geht davon aus, daß sich Österreich im Bedrohungsfall „gesamteuropäischen Konflikten gegenübergestellt sieht“. Die Verdoppelung der derzeit aufgestellten raumgebundenen Landwehr von rund 40.000 Mann auf 80.000 soll bis 1986 erreicht werden.

Wie sieht die Situation aber aus, wenn der große gesamteuropäische Konflikt nicht eintritt, sondern die Ziele des Aggressors in Teilgebieten Österreichs liegen? Ęin solches Ziel könnte etwa die Besetzung eines Bundeslandes als politisches Faustpfand sein. Zur Bewältigung dieser Bedrohung stehen dann Bereitschaftstruppe (15.000 Mann), mobile Landwehrkräfte (acht Jägerbrigaden mit insgesamt 40.000 Mann) und die im Hauptbedrohungsraum befindlichen raumgebundenen Landwehrkräfte zur Verfügung. In einem solchen Fall könnte aber eben nur der im bedrohten Raum vorgesehene Prozentsatz der raumgebundenen Landwehr zum Einsatz kommen. Ob unser System für diesen Bedrohungsfall ökonomisch ist?

Nach den Aussagen des Armee- Stabschefs Generalmajor Bemadiner soll die raumgebundene Landwehr bis auf 175.000 Soldaten ausgebaut werden. Womit in einem Teilbedrohungs- fall noch mehr Landwehr-Kräfte nicht eingesetzt werden könnten.

Armeekommandant Emil Spannocchi ist auch der Meinung, daß als „Voraussetzung für den unkonventionellen Kampf* die Bereitschaft zur Zusammenarbeit seitens des Volkes gegeben sein soll. Im unmittelbaren Kampfgebiet könnte dies eine erhebliche Steigerung der Abwehrkraft bedeuten. Es ist auch zu erwarten, daß die Bevölkerung die entsprechende Unterstützung gewähren wird. In der Tiefe des vom Aggressor bereits in Besitz genommenen Gebietes könnte diese Kampfes- weise aber problematisch werden. Der angesprochene „unkonventionelle Kampf* könnte leicht zu Situationen führen, die denjenigen im Partisanenkrieg ähnlich sind. Noch dazu soll nach Spannocchi das Volk durch die zivile Leitung veranlaßt werden, „zu sehen, zu hören und zu melden“ (für die Streitkräfte natürlich).

Dazu kann man nur feststellen, daß sich ein Aggressor ein derartiges Verhalten der Bevölkerung im besetzten Gebiet wohl niemals gefallen ließe. Terror und Gegenterror wären der Preis, der Kampf würde ohne wesentliche Schonung der Bevölkerung geführt werden. Eine Tendenz, die ja ohnehin seit dem Ersten Weltkrieg kaum mehr gebremst werden kann (Siehe Graphik).

In diesem Zusammenhang erscheint es als erwähnenswert, daß über die Raumverteidigung selbst in den militärfachlichen Publikationen keine grundsätzliche Diskussion geführt wurde. Nicht nur in Fachkreisen, in der gesamten Öffentlichkeit sollte die Problematik ausführlich und für jeden verständlich diskutiert werden.

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