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Bereitschaftstruppe ein Luxus?

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„Auch kleine Hunde, von denen man annimmt, daß sie beißen, greift man nicht an … In der Luft beißen wir nicht, also müssen wir am Boden beißen!“ Der pensionierte Bundesheer- General und Autor des im STYRIA- Verlag erschienenen Buches „Unbe- wältigte Landesverteidigung“, Mario Duič, ist sich als Realist darüber im klaren, daß Österreichs Armee trotz gegenteiliger rhetorischer Äußerungen in nächster Zeit keinen ausreichenden „Luftschirm“ bekommen wird: „Unter diesen Umständen bin ich ein erklärter Gegner der Bereit- schaftstruppe. Ohne Luftschirm ist die Bereitschaftstruppe im Krisen- und Neutralitätsfall nicht respektgebietend und daher ineffektiv.“

Die von General Duič vorgeschlagene Alternative: Aufbau einer Milizarmee unter Verzicht auf eine Bereitschaftstruppe, Ausrüstung der Milizarmee auch mit mechanisierten Waffengattungen (Panzer, Panzergrenadiere) und vor allem mit Präzisionslenkwaffen (Raketen), ohne die Österreichs Wehrhoheit und Souveränität auf Sicht schwer beeinträchtigt bliebe.

Die Bereitschaftstruppe lehnt der erfahrene Militärmann aber nicht nur wegen des fehlenden Luftschirmes ab, sondern auch, weil er durch die Bereitschaftstruppe das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht in Frage ge-

stellt sieht: „Wir haben eine allgemeine Dienstpflicht, aber keine allgemeine Wehrpflicht, weil ein großer Teil der ausgebildeten Reservisten im Ernstfall Zuschauer sein müßte.“

Wie ist diese These zu verstehen? Nach Ansicht von General Mario Duič werden nicht viel weniger als 50 Prozent der jährlich einberufenen Grundwehrdiener der Bereitschaftstruppe zugeführt. Dort werden die Grundwehrdiener eigentlich entgegen der ursprünglichen Zielsetzung verwendet, denn die Bereitschaftstruppe sollte ursprünglich nur aus sogenannten Vollprofis bestehen. Da aber nicht genügend Kaderpersonal gefunden werden konnte, müssen die Fehlbestände mit „Durchdienem“ (Grundwehrdiener, die ihren achtmonatigen Präsenzdienst in einem absolvieren und später nicht mehr zu Reserveübungen einberufen werden) abgedeckt werden.

Die Bereitschaftstruppe, eine mechanisierte Division, besteht im wesentlichen aus drei Panzergrenadierbrigaden, die jeweils einmal im Jahr neue Grundwehrdiener bekommen. Das Resultat: Von den drei Brigaden ist ständig nur eine voll einsatzbereit, meint General Duič. Die beiden anderen Brigaden seien ohne Mobilmachung gar nicht einsatzbereit, womit die Bereitscbaftstruppe ihren Sinn verliere. Der Hauptnachteil der Bereitschaftstruppen sei aber, so Duič, daß die Durchdiener, die zu keinen Reserveübungen mehr einberufen werden können, in der Praxis nach drei Jahren für den Mobilmachungsfall aus der Bereitschaftstruppe ausgeschieden werden, weil sie einerseits ihr Handwerk verlernt haben und weil anderseits keine Notwendigkeit besteht, für jeweils einen Panzer mehr als drei Reservebesatzungen bereit zu halten. General Duič: „Nach diesem System lassen wir mehr Wehrpflichtige nach kurzer Zeit in der Versenkung verschwinden, als derzeit im Mob-Heer eingegliedert werden.“

Die Alternative des pensionierten Generals: „Wenn es darum geht, daß die Bereitschaftstruppe möglichst rasch unseren Verteidigungswillen demonstriert, dann läßt sich das unter Umständen auch durch die Landwehr erreichen. Die Grenzschutzkompanien könnten auch viel schneller auf- geboten werden. Ich bin mir natürlich klar darüber, daß die Müiz für diesen Fall besser bewaffnet werden müßte, etwa mit Präzisionslenkwaffen.“ Solange der „Luftschirm“ nicht vorhanden ist, müßte die Landwehr zwar auf schweres Gerät (Panzer) verzichten, theoretisch wäre aber auch denkbar, Panzereinheiten in die Landwehr ein- zugliedem, meint Mario Duič.

Keine Frage ist es für den STYRIA- Buchautor, daß Österreichs Heer mit taktischen Gefechtsfeldraketen ausgerüstet werden müßte: „Raketen, wie wir sie wollen, sind reine Selbstverteidigungswaffen!“ Nach Ansicht von General Duič können bereits 1955 die Staatsvertragsmächte mit der im Staatsvertrag enthaltenen Raketen- Klausel gar nicht Selbstverteidigungswaffen gemeint; haben, da die Staatsvertragsmächte schon damals auf der Basis der UNO-Charta standen, deren Artikel 51 eindeutig besage: „Nichts .. .soll das vorgegebene Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung einschränken.“

Neben diesem Argument führt Duič noch ins Treffen, wenn die Souveränität Österreichs 1955 auch nur geringfügig berührt gewesen sei, so sei sie heute auf Grund der technischen Entwicklungen erheblich eingeschränkt: „Unsere Politik hat aus den technischen Entwicklungen keine Konsequenzen gezogen.“ Nach Ansicht von General Duič hätte Österreichs Diplomatie - etwa anläßlich der Helsinki-Konferenz - versuchen sollen, die Raketen-Klausel des Staatsvertrags den Sowjets als „Tauschobjekt“ anzubieten.

In seinem Buch „Unbewältigte Landes verteidigimg“ meint der Autor, ein weiteres „heißes Eisen“ aufgegriffen zu haben, das von der Öffentlichkeit aber offenbar als nicht heiß genug empfunden worden sei: Die Benachteiligung des österreichischen Solda ten im Ernstfall gegenüber dem Aggressor. Der österreichische Soldat, der zur Errichtung einer Sperre einen Baum fallen oder eine Brücke sprengen wolle, sei an die innerstaatliche Rechtsordnung gebunden, während sich der Aggressor auf die für ihn wesentlich günstigeren Bedingungen des Kriegsvölkerrechts berufen könnte: „Unser Rechtsstaat ist nur auf den Frieden eingestellt; er entlastet den Soldaten nicht vom Begehen einer strafgesetzwidrigen Tat. Der Soldat sollte aber das Gefühl haben: ,Ich handle als Vollzieher des Rechts!1 “

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