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„Wehrdienst ist immer Einübung für Krieg”

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Vergangene Woche hat die FURCHE das Thema Landesverteidigung in doppelter Hinsicht zur Diskussion gestellt: Was soll verteidigt werden? Wie soll verteidigt werden? Der heutige Beitrag eines Theologiestudenten befaßt sich mit dem Dilemma eines der Gewaltlosigkeit verpflichteten Christengewissens. Künftige Beiträge werden zum Schwerpunkt die Frage haben, ob denn unser Gesellschaftssystem überhaupt noch verteidigenswert ist. (Das klare Ja der FÜR CHE auf diese Frage wurde bereits zu Beginn der Diskussion deponiert.)

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Vergangene Woche hat die FURCHE das Thema Landesverteidigung in doppelter Hinsicht zur Diskussion gestellt: Was soll verteidigt werden? Wie soll verteidigt werden? Der heutige Beitrag eines Theologiestudenten befaßt sich mit dem Dilemma eines der Gewaltlosigkeit verpflichteten Christengewissens. Künftige Beiträge werden zum Schwerpunkt die Frage haben, ob denn unser Gesellschaftssystem überhaupt noch verteidigenswert ist. (Das klare Ja der FÜR CHE auf diese Frage wurde bereits zu Beginn der Diskussion deponiert.)

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Wehrdienst, in welcher Form auch immer, ist Einübung für den Krieg. Wer sich daher als Christ zum Faktum Wehrdienst in der Situation des Sich-entscheiden-Müs-sens steht, muß über den Krieg reflektieren.

Der Katholik weiß sich dem Heilswillen Gottes eingeborgen durch das Zeugnis der Bibel, interpretiert durch die Entscheidungen des Lehramtes und den Strom der Tradition.

Im Alten Testament wird Jahwe selbst als Kriegsheld gezeichnet. Das Buch Exodus berichtet, Jahwe wolle sich an Pharao und seinem Heer verherrlichen. Auf diese Weise sollten die Ägypter erfahren, daß er Jahwe sei. Die Landnahmekriege unter Josua zeigen den Krieg in all seiner grausamen Dimension.

Wenn man nun bedenkt, daß die Landnahme in Kanaan für das Gottesvolk-Denken der Israeliten von ungeheurer theologischer Qualität war, ist es kaum verwunderlich, wenn das alttestamentliche Gottesvolk im Wesen Gottes kriegerische Züge zu orten vermeint. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß es im Alten Testament kein eigenes hebräisches Wort für die Phänomene des Gewissens gibt. Das hat einen guten Grund: Für den Israeliten tritt das Problem des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens hinter das Verhalten zu Gott zurück. Aus dieser Sicht war und ist für den israelitischen Menschen der Krieg ein unerläßliches Instrument zur Sicherung seiner Lebensinteressen.

In der nachösterlichen Verkündigung des Paulus, die zu den ältesten Textzeugen der jungen Kirche zählt, vollzieht sich jedoch ein tiefgreifender Bedeutungswandel: „Wir wollen uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.”

Paulus überträgt so das Vokabular der Kriegskunst auf die Ebene der gewaltfreien Konfliktbewältigung. Und Jesus von Nazaret selbst sieht den Krieg als etwas, das geschehen muß. Die Endzeitrede klingt aus mit einem optimistischen Ruf Jesu: „Wenn all das geschieht, richtet euch auf und erhebt eure

Häupter, denn eure Erlösung ist nahe!”

Der kurze Exkurs zu zentralen Aussagen des Alten und des Neuen Bundes erweist also den Krieg als etwas dem Heil quasi Vorgelagertes; als Ereignis an einer ganz bestimmten Schnittstelle von Raum und Zeit in enger Verflechtung von Profan- und Heilsgeschichte.

Arg strapaziert in der Diskussion um den Wehrdienst und seine allfällige Verweigerung wird der Begriff des Gewissens und seiner Freiheit. Sicherlich ist der Mensch frei, dem Urteil seines Gewissens zu folgen.

Nicht frei jedoch ist er in der Erkenntnis, was gut oder böse ist. Setzt man den Menschen in dieser Frage autonom, relativiert sich die Notwendigkeit der Zehn Gebote Gottes.

Im Fall eines begründeten Zweifels, ob eine Handlung oder Unterlassung nun sittlich erlaubt sei oder nicht, darf man jener Ansicht folgen, die wirklich wahrscheinlich ist. Dabei muß man davon ausgehen, daß die Freiheit des menschlichen Handelns ein so hohes Gut ist, daß sie nur durch eine sicher feststehende Verpflichtung eingeschränkt werden kann.

Nun: Mit der Gewissensfreiheit ist notwendig auch der Gewissenskonflikt verknüpft. Und zwar dann, wenn das irrende Gewissen eines Menschen im Gegensatz zu qualifizierten Rechten anderer steht. Und just hier ist die öffentliche Gewalt berechtigt, den von einem irrigen Gewissensurteil geleiteten Mensehen an der Ausübung seiner Tat zu hindern.

Gott will das Leben eines jeden Menschen erhalten. Wie ist deshalb Krieg anders zu verantworten als unter dem Gesichtspunkt der Notwehr. Gefährdet war und ist diese Position jedoch zu allen Zeiten durch eine Versuchung, die im Gefolge der Macht einherkommt.

Unmerklich werden unter dem Vorwand, das Wohl der Allgemeinheit zu vertreten, Vorwände für die Durchsetzung persönlicher Vorteile und für die Verfolgung aller, die ihnen im Weg stehen, geschaffen.

Zum anderen induziert, und auch das lehrt die Geschichte in aller Eindringlichkeit, die Bereitschaft zur Anwendung kriegstechnischer Mittel deren Anwendung.

Dieser Tage habe ich ein Gespräch zweier Rekruten zu Ohren bekommen. Es ging um die Frage der Kriegsdienstverweigerung. Da fiel ein Satz, der nachdenklich stimmen kann: „Man hat mich gezwungen, einzurücken. Aber niemand kann mich zwingen, zu treffen.”

Darüber nun kann man denken, wie man will. Es mag ein Für geben und ein Wider. Irgendwie aber rührt dieser Satz an ein großes Tabu im Epizentrum unseres Glaubens.

Im Urtext der Tora heißt es nicht: „Du sollst nicht töten!” Es heißt „Du wirst nicht morden!” Zwischen beiden Formeln liegen Welten.

Töten kann - und hier gerät man in die Grenzbereiche der Formulier-barkeit! - im moralischen System eines recht verstandenen Probabilis-mus unumgänglich sein. Morden aber kennzeichnet seit Kain und Abel die sadistische Lust am Töten.

So steht der Christ als Soldat in einer spannungsvollen Äquidistanz: die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen auch im bedrohlichen Ernstfall exemplarisch durchzuhalten.

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