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Wie demokratisch ist Begins rechtsnationale Regierung?

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„Ich wundere mich selbst, wie leicht man betört und mit offenen Augen irregeführt wird, um sich mir nichts, dir nichts der großen Clique der Lügner anzuschließen, deren Lüge aus Unwissenheit, pragmatischer Gleichgültigkeit und schamlosem Egoismus besteht. All dies, um die große Wahrheit gegen ein altkluges Achselzucken eines langjährigen Sünders einzutauschen.“

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„Ich wundere mich selbst, wie leicht man betört und mit offenen Augen irregeführt wird, um sich mir nichts, dir nichts der großen Clique der Lügner anzuschließen, deren Lüge aus Unwissenheit, pragmatischer Gleichgültigkeit und schamlosem Egoismus besteht. All dies, um die große Wahrheit gegen ein altkluges Achselzucken eines langjährigen Sünders einzutauschen.“

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Mit diesen Worten beginnt „Chirbet Chisa“, eine Novelle des israelischen Schriftstellers Samech Jishar (Zivilname Jishar Smilanski), die heute, 29 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, die Gemüter im Judenstaat erhitzt, zu heftigen Parlamentsdiskussionen geführt und einen einstündigen Fernsehstreik als Protestaktion ausgelöst hat. Jetzt wirft sie auch noch die grundsätzliche Frage auf: Wie demokratisch ist die rechtsnationale Regierung von Mena-chem Begin?

„Chirbet Chisa“ - der fiktive Name einer arabischen Siedlung - beschreibt die Eroberung des Dorfes während des israelischen Befreiungskrieges 1948 und die Vertreibung seiner arabischen Einwohner. Jishar rüttelt in der Novelle das Gewissen der Frontsoldaten wach, die nach oft monatelangen Kämpfen in ihrer menschlichen Haltung verrohen und dem Leid der Mitmenschen gegenüber gleichgültig werden. Es ist eine Erzählung, die sich an allen Fronten und in allen Kriegen hätte abspielen können und sich wahrscheinlich immer wieder zugetragen hat. Israel hat bis auf den heutigen Tag die Erlebnisse von damals noch nicht voll verkraftet, wurden damals doch 600.000 bis 800.000 Araber gezwungen, Palästina zu verlassen. Viele von diesen Vertriebenen sind bis heute noch nicht in ihre neuen Lebensräume integriert.

Jishars Kurzgeschichte gehört zur modernen hebräischen Klassik. Die NoveUe wird an allen Mittelschulen Israels als Pflichtliteratur für das Abitur unterrichtet. Der Held der Novelle, ein Soldat, der sich gegen die Ungerechtigkeit - auch gegenüber dem Feind -aufgelehnt hat, wurde zur Symbolgestalt eines neuen israelischen Humanismus.

Vor etwa einem halben Jahr wurde diese Erzählung zu einem Drehbuch verarbeitet und vom israeüschen Fernsehen verfilmt. Film und Novelle sind identisch, doch einige zu harte Ausdrücke und Beschreibungen wurden im Drehbuch weggelassen. Nach der Vorführung vor dem Direktionsausschuß des Fernsehens brachten einige der 31 Direktionsmitglieder ihre Bedenken zum Ausdruck. Schließlich ist das Hauptproblem dieses Films äußerst heikel, denn ein Teil der zwei Millionen Neueinwanderer seit 1948 wurde in den ehemals arabischen Dörfern angesiedelt. Es handelt sich also um ähnliche Probleme, wie sie nach dem Zeiten Weltkrieg etwa im Sudetengebiet, in Ostpreußen und Oberschlesien aufgetreten sind. Aus diesem Grund sollte der Film auch im Rahmen der „Dritten Stunde“ gezeigt werden - ein Programm, in dem nach der Vorführung Experten über die jeweilige Thematik des Füms diskutieren.

„Chirbet Chisa“ stand schließlich auf dem Spielplan. In letzter Minute jedoch, nachdem der siebenköpfige Exekutivausschuß der öffentlichen Direktion des Fernsehens das Programm bestätigt hatte, appellierten zwei Mitglieder der Exekutive an Erziehungsminister Sevulun Hammer, den Film wieder abzusetzen. Auch die Erziehungskommission der Knesset sprach sich gegen seine Ausstrahlung aus. Hammer, laut Gesetz die letzte Instanz des Fernsehens, setzte „Chirbet Chisa“ daraufhin vorläufig ab. Der Direktionsausschuß wird sich nochmals treffen, um endgültig zu entscheiden, ob der FUm gezeigt werden soll oder nicht.

Es geht bei den Diskussionen nicht mehr um „Chirbet Chisa“ allein. Vielmehr wird gefragt, wie selbständig Israels Fernsehen und Rundfunkanstalten sein können und wieweit Politiker, Regierung und Parlament berechtigt sind, sich in die Programmgestaltung des Fernsehens einzumischen.

Jedenfalls entbrannte ein heftiger Disput in der Presse, eine große Anzahl von Schriftstellern, Malern und Bildhauern unterzeichnete eine Protestnote, die sich gegen die Verbannung des Films aus dem Programm richtete, fünf Vorschläge zur Tagesordnung wurden von verschiedenen Fraktionen im Parlament vorgebracht, der Journalistenverband protestierte gegen die Beschneidung der Pressefreiheit, und ein Anwalt protestierte gegen die Absetzung vor dem Obersten Gericht. Die Regierung wird sich ebenfalls nochmals mit der Pro-, blematik auf einer Sitzung auseinandersetzen. Sogar Ministerpräsident Begin nahm kurz vor seiner Abreise nach Genf seinen Erziehungsminister in Schutz.

Schon 1965 wurde vom israelischen Parlament ein Gesetz angenommen, das die Unabhängigkeit des Rundfunks und des Fernsehens garantiert. Aus diesem Grund werden auch die Mitglieder des öffentlichen Direktionsausschusses vom Staatspräsidenten ernannt (unter ihnen dürfen sich nur vier Regierungsbeamte befinden), und sie müssen alle Schattierungen der öffentlichen Meinung ausdrücken.

Noch vor den Wahlen im Mai 1977 beschwerte sich der damalige Oppositionsführer Menachem Begin über die Linkselemente im Fernsehen, die seinen rechtsnationalen Parlaments-. block benachteiligen würden. Heute wird kritisiert, daß sich das Fernsehen nicht genug für die Regierungspolitik einsetzen würde. Redakteuren wurde angekreidet, die Regierung zu scharf kritisiert zu haben, was Regierungsbeamten nicht zustehen dürfe. Und bekanntlich sind die Fernsehredakteure in Israel Regierungsbeamte... Dabei wurde in der Tagespresse immer wieder betont, daß Israels Bevölkerung kein regierungsgesteuertes Fernsehen wie in den arabischen Diktaturen oder in den Ostblockstaaten dulde.

Samech Jishar erklärte in einem Gespräch: „Chirbet Chisa war im Befreiungskrieg nur eine Randerscheinung, doch als Augenzeuge durfte ich nicht schweigen. Ich bin immer für die volle Wahrheit, auch wenn sie schmerzt...“ Doch muß- Israel wirklich all seine Schattenseiten zur Schau stellen?

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