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Wohlstand über alles

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Nach den hier vorgelegten Ergebnissen ist keine grundsätzliche oder gar dramatische Änderung der Wertehierarchie der Bevölkerung Bayerns zu erkennen, wohl aber eine gewisse Unsicherheit in der Bedeutungszu-messung zu einzelnen Werten, Normen und Institutionen. Religiös begründete Moral und Ethik haben offenbar an Einfluß verloren; sie gelten vielen Menschen nur mehr als allgemein vorgegebener Maßstab, nicht mehr als verbindlich für das eigene Entscheidungsverhalten.

Eine eindeutige Neuorientierung in irgendeine Richtung ist nicht zu erkennen___Auch die

Mehrheit der Jugendlichen entwickelt offensichtlich keine neuen Wertehierarchien, sondern läßt die tradierten mit gemäßigtem Enthusiasmus als akzeptable Normen gelten, wünscht jedoch zusätzlich die Verfolgung neuer Leitbilder.

• Wesentlicher Maßstab für die Beurteilung des individuellen und des staatlichen Lebens ist weiterhin das materielle Wohlergehen; Umweltschutz soll dazu — möglichst ohne Einschränkung der wirtschaftlichen Leistungen — verwirklicht werden.

• Ehe und Familie stehen nach wie vor in hohem Ansehen; alternative Lebensgemeinschaften sollen daneben aber ebenfalls akzeptiert und gefördert werden, da Ehe und Familie von Teilen der Bevölkerung als Versuch, als „Unternehmen auf Zeit“ gesehen werden.

• Leistung genießt Ansehen, die Bereitschaft zur Leistung ist vorhanden; sie muß aber als Ertrag auch Spaß und Lebensfreude bringen...

Bei jungen wie bei alten Bürgern ist das Bestreben zu erkennen, vom „Staat“ die Erfüllung der individuellen .Lebenspläne zu fordern und ihn für persönliche Fehlschläge zur Verantwortung zu ziehen ... In ihren überzogenen Erwartungen müssen die Bürger zwangsläufig enttäuscht werden. Das fördert eine lar-moyante Nörgelei am Staat und seiner Gerechtigkeit...

Die Ergebnisse der Fragen beispielsweise nach der künstlichen Befruchtung, der Abtreibung, der Sterbehilfe und der Ehescheidung, oder die Forderungen nach völliger sozialer Absicherung bestätigt Armin Möhler, der verschiedentlich Bedenken über unsere „zuallererst auf Schmerzvermeidung angelegte Gesellschaft“ äußerte...

• Im Zusammenhang mit der Situationsbeschreibung eines todkranken Patienten wurden den Befragten vier Entscheidungsalternativen vorgelegt. Ein Viertel der Befragten — unter den jungen sogar ein Drittel — stimmte der Ansicht zu, der Arzt sollte das Recht haben, auf Wunsch des Patienten dessen Leben zu verkürzen.

• Zwei Drittel der Befragten, unter den jüngeren bis zu 80 Prozent, befürworten die homologe Insemination, eine klare Mehrheit die Erfüllung des Kinderwunsches eines Ehepaares durch einen anonymen Samenspender. Rund 40 Prozent, unter den jüngsten Befragten 53 Prozent, akzeptieren, daß sich eine ledige Frau ihren Kinderwunsch mittels anonymer Samenspende erfüllt, und immerhin noch ein Viertel der Befragten befürwortet gegebenenfalls eine Leihmutterschaft.

• Für einen Schwangerschaftsabbruch wurden soziale Gründe zwar nur von einer Minderheit zwischen 23 und 38 Prozent (unter den jüngeren Befragten) akzeptiert. Im Falle vermutlicher Schädigung des neugeborenen Kindes, einer ernsthaften gesundheitlichen Gefährdung der Schwangeren oder bei Vergewaltigung sprachen sich allerdings zwischen 80 und 90 Prozent der Befragten für eine gesetzlich ermöglichte Abtreibung aus.

Auszug aus „Wertewandel“ in Informationen 2/1988 der „Hannes Seidel Stiftung eV“

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