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Das letzte Werk Srbiks
Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart. I. Band. 437 Seiten. Verlag F. Bruckmann, München, Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1950
Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart. I. Band. 437 Seiten. Verlag F. Bruckmann, München, Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1950
Wohl dankte im vorliegenden Werk, dessen zweiter Band im Erscheinen ist, Heinrich von Srbik „am Abend dieses Lebens“ seinen ehemaligen Lehrern und Schülern. Doch mochte der Verfasser, der am 16. dieses Monats verstarb, der Gewißheit keineswegs inne gewesen sein, damit das letzte Wort seines langen Gelehrtenlebens niedergeschrieben zu haben. Zu lebendig schrieb er es noch. Zeile für Zeile, Blatt für Blatt bezeugt durchhaltende Ungebrochenheit des Geistes und der Feder. Jene fugenlose Einheit im Erkennen und Erleben waltet 60 schon in den vorhergegangenen Werken, auch in diesem, nunmehr zum Testament gewordenen. Sein magnetischer Mittelpunkt ist wieder die Wahrheit, die Wahrheit als sittliches und erlösendes Gut, dem sein ganzes Sinnen und Sorgen galt. Es ist die Wahrheit der Geschichtsschreibung, davon uns der Verfasser, mit der vehementia cordis eines großen Menschen, hier eine Geschichte bietet, wie bisher noch keine geschrieben worden ist. Sie beginnt mit der Geschichtsschreibung des Mittelalters, der Universalgeschichte im Dienste der Theologie; sie durchstöbert den Humanismus, die Renaissance, die Reformation, ihre Bedeutung für die Geschichtswissenschaft als Beweismaterial ideologischer Polemik) und sie klingt nach einer Darstellung der Geschichts-philosophte der Aufklärung und Romantik, der Voltaire und Rousseau, der Herder und Kant, der Goethe und Schiller, der Fichte und Hegel, mit den Geschichtswerken unserer Zeit, mit Niebuhr, Ranke und so fort, ab, wobei das Gesamtschicksal Europas, sein geistiges, sein politisches, in wahrhaft souveräner Beherrschung aller Teppichfäden der Geschichte hineirverwoben erscheint.
Freilich steht im Vordergrund die deutsche Geschichtsschreibung, der deutsche Geist, im Sinne seiner „gesamtdeutschen* Methoden von ehedem. Wir vermissen daher schmerzlich manches, was Österreich betrifft. Das zeigt sich zum Beispiel in der Behandlung der Romantik. Entscheidende Zäsuren und Daten fehlen, wie dies an seinem Metternich-Werk schon bemängelt wurde. Aber dies 6ind Fehler secundum plus et minus in den meisten Skizzen. Entschädigt wird der Leser, und dies reichlichst, im Anblick des Gesamtentwurfes, in dem die Flamme einer großen Berufung nun zu Ende losch.
Wenn Hermann Bahr einmal sagte: „Der Schauspieler ist ein wesentlicher Mensch“, so ist er dies ganz gewiß deshalb, weil ihm das Menschliche, die Skala aller Leidenschaften, aller Empfindungen, aller Handlungen, nichts Fremdes ist. Ähnlich der wahre, der echte Historiker. Auch er ist ein wesentlicher Mensch Auch ihm i6t das Menschliche, sein geschichtliches Los, sein Kreuz, seine Auferstehung, nicht fremd. Auch er durchlebt und durchleidet dieses Geschichtliche als Nachschöpfung und Widerspiel seines eigenen Ichs, wohl nicht, wie der Künstler, im Pathos der Gebärden, aber ebenso lebendig im Kristall der Begriffe. Und auch ihm, dem Historiker, ist jede, aber schon jede weltanschauliche und politische Ideologie, jedes Pergament und Fundstück, nur eine geschichtsgebundene Maske des Ewigen im ruhelosen Menschen. Geschichtswissenschaft ist wesentlich — ein Selbstgespräch! In diesem Sinne war Srbik Historiker, Geschichtskenner und -Schreiber, und seine Geschichtswissenschaft Selbstoffenbarung seines Geistes. Auch dieses Buch, sein letztes Tagebuch, ist es.
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