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Nicht Reportage, sondern Ereignis

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Der Besitz einer Ausgabe der Heiligen Schrift allein besagt sehr wenig. Die Schrift muß auch gelesen werden; und daß das fruchtbar geschehen kann, bedarf man verschiedener Hilfen: fundierte Erklärungen der verschiedenen Bücher und Texte, aber noch mehr eine Einführung, ehe man zu lesen beginnt. Es gibt Voreinstellungen, die als die entscheidensten Weiehen-stellungen für das Lesen der Schrift gelten können. Das grundlegende Vorverständnis liegt darin, ob man die Schrift als gläubiger Mensch zur Hand nimmt oder lediglich Informationen über eine längst vergangene Zeit zu erheben sucht. Die Schrift will nicht Reportage über ein längst vergangenes Geschehen sein, sondern durch die Schrift soll heute Gottes Wort an den Hörenden und Lesenden geschehen. Der Mensch soll, indem er die Schrift auslegt, auch selbst ausgelegt werden. — Solche Einleitungsfragen hermeneutischer Natur behandelt das vorliegende Buch, das Vorträge, die auf Tagungen der Evangelischen Akademie Tutzing und der Katholischen Akademie in Bayern gehalten wurden, zugänglich macht.

Franz Mußner schreibt über Aufgaben und Ziele der biblischen Hermeneutik. Er erklärt das Anliegen der Hermeneutik und stellt die verschiedenen Interpretationsaufgaben vor: die historische Interpretation, deren Ziel die „Entzifferung“ der Gebetsurkunde des Christentums ist, die existentiale Interpretation, die die Erhellung des Daseins durch das Wort Gottes anstrebt, und die heilsgeschichtlich-kerygmatische Interpretation als Begegnung mit dem Heilsmysterium. Erwägungen über die Tradition und die Auslegung der Schrift als permanente Aufgabe der Kirche schließen den Vortrag ab.

Exegetische Aspekte legt Anton Vögtle zum Thema vor. Die Auslegung der Schrift ist eine wesentliche Aufgabe der gesamten wissenschaftlichen und praktischen Theologie. An drei Texten illustriert der

Verfasser seine grundsätzlichen Erwägungen.

Ulrich Wückens bietet eine Darstellung der Geschichte der historischen Kritik von der Entstehung bis in die Situation unserer Gegenwart. Er erläutert die hermeneu-tischen Forderungen Karl Barths und Rudolf Bultmanns und kritisiert und würdigt sie. Interessant wäre allerdings eine Darstellung und Auseinandersetzung mit den Theorien und Thesen auch jüngerer Exegeten und Hermeneutiker.

Als Dogmaftker sucht Leo Scheff-czyk den dogmatischen Weg, der nicht von der Schrift ausgeht, sondern vom Dogma, zu rechtfertigen. Dieser Vortrag zeigt deutlich die kontroversen Punkte zwischen Katholiken und Protestanten in dieser Frage auf, meist aber auch Wege zu einem gegenseitigen Verständnis; zum Beispiel in der Frage der kirchlichen Lehrautorität: hier kam es bei gleichen Voraussetzungen zu differenzierter Anwendung eines gemeinsamen Grundprinzips.

Wilfried Joest behandelt die Frage des Kanons in der heutigen evangelische Theologie. Er fragt nach dem theologischen Sinn der Kanonbildung. Zwei Möglichkeiten bieten sich an: Die eine versteht die Bildung des Schriftkanons lediglich als Akt kirchlicher Selbsthilfe, die zweite leugnet nicht das Moment, daß hier auch eine menschliche Rückfrage mit damals gegebenen Mitteln stattfand, sagt aber, daß Gott selbst diese Schriften zu Seinem Werkzeug ausgewählt hat und darum auch die Kirche gerade sie auswählen mußte. Zur Beantwortung dieser Frage schiebt W. Joest zwei Exkurse über „Das Bibelwort und das Selbstwort Gottes“ und über „Fragen und Möglichkeiten historisch-kritischer Bibelforschung“ ein. Einen breiten Raum nimmt die Frage nach der „eigentlichen und maßgebenden Linie“ in der Schrift, von der aus die Interpretation auszugehen habe und von der aus Kritik innerhalb der Bibel möglich sei, ein. Er greift zurück auf einen Satz Martin Luthers: „Kanonisch ist, was Christum treibet.“ Der Verfasser entscheidet sich für die oben als zweite Möglichkeit angegebene theologische Sinndeutung der Kanonentstehung

Das vorliegende Buch ist ein erfreulicher Beleg für die Zusammenarbeit evangelischer und katholischer Autoren und für das gegenseitige Ernstnehmen theologischer Traditionen.

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