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Die soziale Not der Musiker

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Die Notlage, in die eines der besten und größten Orchester Wiens in letzter Zeit geraten ist, hat die Öffentlichkeit alarmiert und das Augenmerk breitester Kreise auf die soziale Lage unserer Orchestermusiker gelenkt. Ein Blick auf die symphonischen Orchester ergibt das für die Außenstehenden überraschende Bild, daß sich in Österreich nur zwei Orchester in einer materiell gesicherten Position befinden: die Wiener Philharmoniker und das Orchester der Ravag. Zu den ersteren wäre unter unserem Gesichtspunkte zur Zeit auch das Orchester der Völksoper zu zählen, wobei jedoch beachtet werden muß, daß die Existenz dieses Orchesters dann zur Diskussion gestellt werden muß, wenn die Staatsoper am Ring ihre Pforten öffnen wird. Ähnliche Probleme stehen im Rundfunk zur Debatte, und zwar dann, wenn die Zusammenlegung der österreichischen Sender durchgeführt und damit die Ravag in ihre angestammten Rechte wieder eingesetzt werden wird. So fern auch dieser Zeitpunkt im Augenblick zu liegen scheint, so ändert dies nichts an der Tatsache, daß die Ravag budgetär bei den riesigen technischen Investitionen kaum in der Lage 9ein wird, den gegenwärtigen, durch vermeintliche Prestigerücksichten und gegenseitiges Rivalisieren hervorgerufenen Zustand des Engagements eigener Orchester an den Sendern der Bundesländer (zum Beispiel Senddrgruppe West) aufrechtzuerhalten, sondern vielmehr gezwungen sein wird, den vor 1938 als zweckmäßig empfundenen Sendebetrieb wieder einzuführen. Damit aber erscheinen, auf lange Sicht gesehen, nur die Wiener Philharmoniker und das Orchester der Ravag in ihrem Bestand gesichert. Alle anderen Orchester, auch die W i e n e r Symphoniker, stehen im Augenblick auf der für einen Kulturstaat beschämenden und unwürdigen Stufe antichambrierender Bittsteller. Für sie ist das berüchtigte Wort „Subvention“ von der gleichen lebenswichtigen Bedeutung, wie es zu Zeiten unserer Vorväter lebensrettend war, wenn nach wolkenverhängten Nächten sich endlich das Firmament aufklärte und die Freigebigkeit eines kunstliebenden Fürsten alle Sorgen verscheuchte.

Um diesem beschämenden Zustand ein Ende zu bereiten, haben nunmehr unsere gesetzgebenden Körperschaften den „Kulturgroschen“ eingeführt. Im Zuge der Verhandlungen über diese Gesetzesvorlage konnte man von der Opposition EinWände und Proteste vernehmen, die in ihrer Kulturverständnislosigkeit erschütterten. Ihr Tenor war ungefähr der, daß alles, was sich nicht selbst und aus eigener Kraft erhalten könne, sich schon dadurch als überflüssig und untergehenswert erweise. Dieser brutale Zweckmäßigkeitsstandpunkt, sosehr er im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf seine Gültigkeit haben mag, ist im Kunstsektor unanwendbar. Zu allen Zeiten ist die Kunst von mäzenatischen Förderungen abhängig gewesen, und wenn wir, um bei unserem konkreten Orchesterproblem zu bleiben, ähnliche Einrichtungen der beiden führenden Weltstaaten betrachten, so sehen wir die berühmten Orchester der Vereinigten Staaten unter der Patronanz hochmögender Wirtschaftskonzerne stehen und finden in der UdSSR die vollkommene staatliche Sicherstellung. In beiden Fällen wird das erreicht, was für das Aufblühen eines Musiklebens auf breiter und kulturell wertvoller Basis entscheidend ist: die Schaffung einer Existenzgrundlage, die den soliden und sachgemäßen Bau eines Orchesterapparats zu tragen in der Lage ist.

Wenn nun bei der Bereitstellung der für Österreich nötigen Mittel die Kinopreise eine ganz geringfügige Erhöhung erfahren sollen, so kann diesem Plane nur beigepflichtet werden. I er Aufschrei von der ruinösen Auswirkung dieser Maßnahme muß angesichts der Tatsache verstummen, daß nach wie vor vor den Toren der Lichtspieltheater Karten von herumlungernden Burschen zu maßlos überhöhten Preisep angeboren — und vom Publikum gekauft werden. Dazu kommt, daß bekanntlich ein sehr hoher Prozentsatz der Filmimporte künstlerisch wertlos, wenn nicht gar schädigend ist und somit jede Rücksichtnahme auf die Prosperität des Kinos nur bedingt anzuwenden ist. Freilich darf diese Sanierungsmaßnahme nicht dazu führen, daß nun unter den abenteuerlichsten Titeln Verwaltungsstellen und Büros eingerichtet werden, die dann wie Unkraut wuchernd die wertvolle Saat im Keime ersticken. Im Gegenteil: Der Mut Zu einer radikalen Vereinfachung aller administrativen Belange muß gefaßt werden, was freilich zur Vorbedingung hat, daß an die entsprechenden Schlüsselpositionen Persönlichkeiten mit einer nachgewiesenen fachlichen Eignung gesetzt werden. Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann ist der Weg für eine Konsolidierung der städtischen und Landesorchester frei und damit die Möglichkeit eines großzügigen Aufbaus des Musiklebens gegeben.

Wie dieser zu erfolgen hat, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Hier kann nur beispielsweise auf die große Aufgabe hingewiesen werden, die in diesem Zusammenhang für die gesamte Jugendfürsorge ersteht. Gilt es doch eine durch Krieg und Nachkriegszeit verwilderte Jugend zu den reichen Quellen unserer abendländischen Musik heranzuführen und schrittweise in Erziehungsarbeit damit vertraut zu machen. Eine andere, nicht minder verantwortungsreiche Frage wird die Auswahl und Gruppierung jener Kunstinstitutionen sein, die aus den neugeschaffenen Mitteln zu dotieren sind. Wenn zum Beispiel den Vertretern eines Landesorchesters das Subventionsansuchen von der staatlichen Kunstverwaltung mit der Begründung abgelehnt wurde, das Orchester stehe nicht im „gesamt- österreichischen Interesse“, und wenn die gleiche JJtelle dem gleichen Orchester in einer anderen Angelegenheit ihre Unterstützung nur unter der Bedingung in Aussicht stellt, daß sich das Orchester dazu bereit erklärt, 6eine Tätigkeit „auf das Gebiet der gehobenen Unterhaltungsmusik’ zu beschränken“, wenn unserem besten Orchester nach den Philharmonikern zugemutet wird, seinen Stand auf den eines mittleren Provinzorchesters zu reduzieren, so müssen solche Entscheidungen das Vertrauen auf die Kom- petenzfähigkek zuständiger Amtsstellen bei denklich erschüttern. Schließlich, um bei der Dreizahl der Beispiele zu bleiben, wäre die Frage der Vergnügungssteuer und der übrigen Veranstaltungsspesen (Saalmieten, Reklamespesen, Druckkosten usw.) grundlegend zu ändern. Der heutige Zustand, daß im Rahmen der Gesamtkosten eines Konzerts das Honorar des Orchesters kleiner ist als die übrigen Spiesen, ist auf die Dauer unerträglich und muß sich letzten Endes auch auf die fiskalischen Einnahmen, wie auch auf das Reinerträgnis für die Konzertveranstaltung hemmend auswirken. Hier eine, den hohen Zielen. Rechnung tragende Lösung sine ira et Studio zu treffen, wird die vornehmste Aufgabe und gleichzeitig eine einmalige Bewährungsprobe der öffentlichen Kunstverwaltung sein.

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