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Abschied von einem evangelischen Theologen

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Mif Hermann Sauer, der vor kurzdm nach einem langwierigen Leiden heimgenommen ward, verlor die evangelische Christenheit denjenigen ihrer Theologen, der gegenüber der überragenden Gestalt Karl Barths einen ganz eigenen Weg ging. Es ist der Weg der evangelischen Michaelsbruderschaft, die, verwandt zur Berneuchener Bewegung, das Mysterium einer sakramentalen Kirche in den Mittelpunkt stellt. Die Schrift „Credo ecclesiam’ (Kassel 1955) zusammen mit Hermann Sauers Antwort in unserem gemeinsamen „Gespräch zwischen den Kirchen' (Nürnberg 1956) ist gleichsam ihr dogmatischer Abrifj. Während rfarl Barth immer mehr von Kierkegaard weg zu Calvin ging (in seiner monumentalen „Kirchlichen Dogmatik'), bricht in den Schriften Hermann Sauers und seiner Michaelsbruderschaft immer mehr eine Verwandtschaft zur Ostkirche und auch zum Katholischen hervor. Schon seine Frühschriften „Amt der Christenheit heute" (Dresden 1940) und „Sendung des soldatischen Menschen" (ebd. 1940) wurzeln in einer Welt des Mysteriums: am grundsätzlichsten in der Weise, wie er gegen den alten Gegensatz eines kalvinlschen „finitum incapax infiniti' (das Endliche als unfähig des Unendlichen) und eines lutherischen „finitum capax infiniti’ (das Endliche als fähig des Unendlichen) das radikal Umgekehrte eines „Infinitum capax Finitl" (das Unendliche als fähig des Endlichen) setzt („Amt usw.’, S. 95, 143). Damit ist nicht ein heilsbedürftiger Mensch (der „seiner Seelen Seligkeit' sucht) das „Mal; aller Dinge” (wozu Luther und Calvin neigen und was Melanchthon vollendet), sondern es geht um eine „TheologiÄ der Ueberwältigung" („Amt usw.’, S. 176) in einer „michaelisehen Ordnung" (die in Michael ruft: Wer ist wie Gottl) als einer solchen, die unter dem „Begriff des leibhaften Zugreifens Gottes' steht (ebd. 181), also unter dem Zeichen eines leibhaften Eintritts Gottes im Mysterium und als Mysterium, in die sakramentalen Mysterien hinein. In diesem Sinn geht es um die „Leibhaftigkeit’ der „Selbsf- offenbarung Gottes" (ebd. 97) in einem „ganzheitlichen Einsatz Gottes" (ebd. 66), gewif; „um des Menschen willen" (ebd.), aber nicht im Sinn eines „Gott in der eigenen Brust’, sondern des „lebendigen Gott' („Sendung usw.', S. 153), der „es sich alles kosten läfjt, heute noch mit der gleichen Kraft wie seinerzeit in Christo nach der Gemeinde und nach der Welt zu greifen’ („Amt usw.", S. 107), wie dann folgerichtig Sauer in seiner Antwort Im „Gespräch zwischen den Kirchen’ nicht das Ich, sondern die „Gemeinde’ zum Subjekt des Christentums erklärt. Und dieses „Nach-der-Welt-Greifen" trägt die urchrfstllohe Form jenes „Comerclum , das von den Paulinen zu Irenaus, zu Augustinus, zu Bernhard von Clairveaux, zu Luther die entscheidende Form der Erlösung ist: „Austausch’ zwischen Gott und Mensch, zwischen Menschen (der, gemäfj den Nachweisen Sauers, noch im alf- reformatorischen Kirchenlied „Lobt Gott, Ihr Christen alle gleich’ und Im Pietismurweiterlebt: „Er wechselt mit uns wunderlich’: „Gespräch usw.’, S. 94). Dem entspricht dann endlich, dafj diese Agape Gottes im Austausch zwischen Gott und Mensch sich auszuwirken hat in eine „agapisebe Existenz von Christ zu Christ’ („Amt usw.’, S. 181), in deren Mitfe das „stellvertretende, vorbildliche Opfer" steht, in dem der Christ das Opfer Gottes im Austausch mit- und weitervollzieht („Sendung usw.’, S. 217). So ist das sakramental liturgische Christentum Sauers nicht eine schwärmerische Verklärungstheologie, sondern realistische' „Ritterschaft inmitten dieser Wirklichkeit („Amt usw., S. 11). Es ist dann kein Wunder, dal) Sauer in seiner Antwort im „Gespräch zwischen den Kirchen’ nicht nur das „Mysterium’ als wesentliches Gegenüber zum „Kerygma”, d. h. der lebendigen Verkündigung, als „Ort Gottes in Christo in der Kirche” (wie Karl Barth es in den Mittelpunkt stellt) fordert (in seiner „Antwort", S. 86 ff), sondern ausdrücklich Luther selbst als „katholischen Menschen’ verstanden wissen will (ebd., S. 80), so dafj „das Protestantische das Katholische immer einbeschliefjt, wenn es echt ist’ (ebd., S. 85). So haben Katholiken wie Protestanten In Hermann Sauer den wohl eigentlichsten Vermittler verloren. Aber er bleibt das Zeichenunter dem sie einander finden können.

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