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Das Antlitz der Kirche in der Welt
MACHT OHNE AUFTRAG. Die Entstehung der Staats- und Volltskirche. Von Rudolf Hernesger. Walter-Verlag, Ölten, 1963. 477 Seiten. Preis 38 sFr.
MACHT OHNE AUFTRAG. Die Entstehung der Staats- und Volltskirche. Von Rudolf Hernesger. Walter-Verlag, Ölten, 1963. 477 Seiten. Preis 38 sFr.
Hernegger befaßt sich mit einem Problem, das heute nach einer vollen Klärung schreit: Es ist die Frage, wie sich das Christentum in einer Weise entwickeln konnte, daß es bereits im Mittelalter, aber vollends in der Neuzeit zu grausamen Religionskriegen, zur Glaubensspaltung und zu all jenen Erscheinungen gekommen ist, die für die Kirche viel Unheil bedeuteten und schließlich und endlich das Christentum fragwürdig gemacht haben.
Hernegger zeigt, daß zwei Entwicklungsphasen für das Christentum von größter, entscheidender Wichtigkeit waren: 1. Der Helleni-sierungsprozeß im 3. Jahrhundert und 2. das Bündnis zwischen Kaiser und Papst im Mittelalter. Beide haben dazu beigetragen, die Kirche zur Volkskirche beziehungsweise zur Massenkirche zu machen, sie zur ersten kulturellen und weithin auch politischen Machtträgerin zu erheben. Gleichzeitig aber haben diese beiden auch dazu beigetragen, die Kirche innerhalb zu schwächen, sie von ihrer wesentlichen Sendung abzulenken. Der Einfluß des Hellenismus hat zur Ablösung der Liebesethik durch die Materialethik geführt. Zuerst wurde das Christentum vom Kerygma, von der Christusbotschaft, zur christlichen Lehre umgedeutet. Dann wurde die Liebesbotschaft zur Gesetzesreligion umgedeutet. Mit der Befreiung des Christentums durch Konstantin wurde das Christentum schrittweise zur Staatsreligion. Die Kirche erhielt viele Privilegien und machte nun den Kniefall vor dem Kaiser. Die Kirche entwickelte sich zur Reichskirche. Es wurden damit mehr und mehr Auffassungen herrschend, welche die geistliche und weltliche Macht miteinander vermengten und verwechselten. Man verstand das christliche Reich des Römischen Kaisers Deutscher Nation als sakralen Kosmos. Hiermit wurde die ganze menschliche Gesellschaft des Abendlandes sakralisiert und nun zu den nichtchristlichen Mächten in Gegensatz gestellt. So kam es zu den Religionskriegen.
In der Interpretation dieser Entwicklung kann es freilich ein Zuviel und Zuwenig geben. Ohne Zweifel wurde das Wesen des Christentums durch eine falsch verstandene Sakra-lisierung des Reiches mißverstanden. Es ergaben sich daraus sowohl für die christliche Verkündigung als auch für die Verbreitung des Christentums Mißverständnisse. Vor allem wurde der Begriff der religiösen und der bürgerlichen Toleranz beziehungsweise Intoleranz völlig gleichgesetzt, was schon zu schweren Mißgriffen gegenüber Andersgläubigen führen mußte.
Ob deshalb diese Entwicklung, die nun einmal eine geschichtliche Gegebenheit ist und sowohl zu großen Leistungen des Christentums wie auch zu Fehlleistungen geführt hat, von unserem heutigen Standort aus beurteilt werden kann, oder ob sie nicht als eine Folge des gottmenschlichen Charakters der Kirche einfach hingenommen werden muß, wollen wir nicht entscheiden. Daß unsere Erkenntnis heute weiter fortgeschritten ist, ist nicht einzig und allein unser Verdienst, sondern dazu hat auch die Vergangenheit das Ihre beigetragen. Es wird aber keine Epoche in der Kirche geben, in der nicht menschliche Einseitigkeiten ihr Antlitz entstellen. Wir kennen heute noch nioht das Bild der Kirche, wie es die folgenden Jahrzehnte prägen werden, wissen aber sicher, daß es auch menschliche Züge an sich tragen und daher von menschlichen Unzulänglichkeiten nicht frei sein wird.
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