Kirchengeschichte, NEU SICHTBAR

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Im Buch "Krypta" hebt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf verschüttete Traditionen der Kirchengeschichte, die zeigen, was alles schon einmal "katholisch" war.

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Im Buch "Krypta" hebt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf verschüttete Traditionen der Kirchengeschichte, die zeigen, was alles schon einmal "katholisch" war.

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Gut is gangen. Nix is gschehn: Auf diese Volksweisheit kann man die letztwöchigen Bischofsernennungen in Graz und bei der Militärdiözese bringen. Was aber, wenn es nicht gut gegangen und doch etwas geschehen wäre? Das Thema Bischofsernennungen gehört jedenfalls seit Jahr und Tag zu den "heißen Eisen" der Kirchendiskussion: Die fehlende Transparenz des Verfahrens sowie die mangelnde Beteiligung der Ortskirche sind da bis heute Stein des Anstoßes, auch wenn in den aktuellen Fällen die Ernennungen - Gottseidank - nicht zu Steinen des Anstoßes wurden.

Da hilft ein Blick in die Kirchengeschichte, zumindest der, den der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in seinem spannenden Band "Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte" vorlegt. Der Titel ist Programm, ist doch "Krypta" das bis in die Gotik übliche, unter dem eigentlichen Gottesdienstraum befindliche Untergeschoss einer Kirche, ein quasi geheimer Raum. Und derart Verborgenes will Wolf aus der Kirchengeschichte heben und neu sichtbar machen.

Keine romzentrierte Papstkirche

Dem Kirchenhistoriker ist es darum zu tun, zu zeigen, dass "katholisch" in den Zeitläuften mitnichten ein enges Korsett einer auf Rom zentrierten Papstkirche meint, sondern eine große Weite und auch Vielfalt. Im Fall der Bischofsernennungen ist das wohl am ehesten bekannt, zumal sich Partikularrechte im deutschen Sprachraum oder auch in der Schweiz bis zum heutigen Tag finden.

Dass der Papst Bischöfe ernennt, ohne darüber Rechenschaft geben zu müssen, sei eine Entwicklung erst der letzten Jahrhunderte der Kirchengeschichte, weist Wolf, der unter anderem als Erforscher der vatikanischen Geheimarchive bekannt wurde, nach. Vor allem, dass die katholische Kirche kein monolithischer Block sei und sich keineswegs in allem und jedem auf Jesu Auftrag zurückführen kann, zeigt der Autor anhand historischer Beispiele auf. Er will damit klarmachen, dass insbesondere Behauptungen des integralistischen Kirchenlagers, man könne und dürfe am aktuellen Lehrgebäude nichts ändern, schnell ins Leere laufen, wenn man sich die Historie wirklich zu Gemüte führt.

Wolf zeigt, dass durchaus unvereinbare "Lehren" im Lauf der Jahre gültig waren - nach der Französischen Revolution oder auch im 19. Jahrhundert wurden etwa die Gewissens- wie die Religionsfreiheit verdammt - die heute aktuelle Lehre sagt das genaue Gegenteil.

Der Mythos des Konzils von Trient

Vor allem gegen die von rechtskatholischer Seite behauptete festgefügte Kirchenstruktur, die das Konzil von Trient vor einem halben Jahrtausend ein für alle Mal beschlossen habe, entlarvt Wolf als Mythos. Nicht einmal eine "tridentinische Messe" gebe es im strengen Sinne, schreibt der Kirchenhistoriker, sondern das Konzil habe liturgische Fragen mangels Zeit und Ressourcen dem Papst überantwortet, der erst Jahre nach dem Konzil entsprechende Vorschriften erlassen habe, die aber seither auch immer wieder verändert worden waren.

Im Lauf der Geschichte traten auch beinahe unlösbare Unterschiede in der Lehre auf, so etwa, dass das Konzil von Konstanz vor 600 Jahren den Primat des Konzils über den Papst formuliert habe, während das I. Vatikanum hingegen den Papst über das Konzil stellte. Dieser kaum auflösbare Gegensatz werde, so Wolf, heute mit durchaus angreifbaren Argumenten hinweggewischt.

Der Autor bricht auch eine Lanze fürs Subsidiaritätsprinzip, das seit mehr als 100 Jahren eines der Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre darstellt, von der Kirchenspitze in Rom bis heute nicht auf die Strukturen der Kirche angewandt wird. Das Prinzip besagt: Das, was man in einer kleineren, untergeordneten Einheit regeln kann, solle dort bleiben und nicht zentral bestimmt werden. Es ist kein Zufall, das Wolf Äußerungen von Papst Franziskus gegen die Zentralisierung in der katholischen Kirche im Sinn des Subsidiaritätsprinzips deutet.

Äbtissinnen als Quasi-Bischöfinnen

Daneben wartet der Münsteraner Kirchenhistoriker mit einer Menge brisanter Details auf, was alles schon möglich war -er nennt Äbtissinnen im Mittelalter, die bischöfliche Vollmachten ausübten - teilweise bis ins 19. Jahrhundert. Oder Laien wie der heilige Martin von Tours, der Vollmachten ausübte, ohne dafür geweiht zu sein. Oder auch die Lossprechung von Sünden durch Nichtgeweihte.

Ein besonderer Exkurs im Buch widmet sich der Reformbewegung des Franz von Assisi, dessen Namensübernahme durch den derzeitigen Papst als Programm gelten kann: Nähme man das Anliegen des Heiligen aus Assisi ernst, dann müsste man der Kirche sehr wohl in Bezug auf ihr autokratisches monarchisches Strukturprinzip am Zeug flicken.

Eine Fundgrube und eine Sammlung an Hoffnungsbeispielen stellt "Krypta", das Buch von Hubert Wolf, dar. So vieles ist in der Kirchengeschichte schon dagewesen, dass auch vermeintliche Umwälzungen einer herrschenden Lehre weniger revolutionär sind, als das Gros der Bewahrer einer "reinen" Lehre glauben macht

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