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DER MAGISCHE REST. Ein Beitrag zur Entmagisierung des Christentums von G. H i er zenb er g er. Patmos-Verlag, Düsseldorf 1969. 376 Seiten, Preis: DM 24.—.

Magie ist keine Sache bestimmter, einzelner Fakten, sondern vor allem eine Sache des Verständnisses, der Interpretation. Das „Kerygma der Säkularisierung“, wie es der Verfasser von biblischer Grundlage her im dritten Teil seiner Untersuchung skizziert, bedeutet nicht eine Streichung bestimmter Fakten und Vollzüge (oder zumindest nicht nur und in erster Linde), sondern eine Neuinterpretation; es provoziert ein neues, nichtmagisches Verständnis und eine entsprechende Praxis.

Zweifellos wird dieses „Kerygma der Entmagisierung“ (oder Säkularisierung) immer in Widerspruch liegen mit den „natürlichen Tendenzen des Menschen, der auf Sicherung und Sicherheit, auf Ab- und Versicherung aus ist. Das hätte eventuell deutlicher herausgestellt werden müssen: Daß Magie nicht eine überwundene Stufe phylogenetischer Entwicklung ist, ja auch nicht nur eine ontogene- tisch zu durchlaufende Phase, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als überwunden angesehen werden kann, sondern daß „Magie“ die Bezeichnung für ein immer vorhandenes menschliches Streben für eine anthropologische Grundkomponente ist, resultierend aus einem unbestimmten, un- und vorbewußten Heilsverlangen des Menschen, in dem „Heil“ allerdings mit Ruhe, Ordnung, Sicherheit und Absicherung gleichgesetzt wird, mit dem Zweck, den Menschen selbst von der eigenen Anstrengung um dieses gewünschte „Heil“, vom eigenen Einsatz und Engagement zu dispensieren.

So liegt also der Unterschied zwischen magischer Religiosität und christlicher Gläubigkeit nicht im Unterschied historischer Entwicklung, nicht im Sachverständnis der Dinge, sondern im Verhalten des Menschen selbst beziehungsweise der Einschätzung seiner Möglichkeiten. Die grundlegende „Magisierung“ des christlichen Glaubens und der Botschaft Jesu besteht dann darin, daß sie von einer Botschaft, die die Aufforderung zu realer und in der

Praxis sich bewährender WeitvfiXän- derung in sich trägt (sei es auch nicht so sehr im neomarxistischen Sinn über die „Strukturänderung“, über die „Gesellschaftsänderung“, sondern auf dem Weg über die ,.Person- änderung“, die personale „Meta- noia“), zu einer Botschaft gemacht wurde, die eher die Nichtänderung, den Status quo, begünstigt, weil der, der allein alles ändern kann, Gott ist, und vor allem, weil man diese geänderten Zustandes (eben des Heils) in objektiven Zeichen und Vollzügen (das heißt Sakramenten und Riten; Sakramentenmagie) durch ein unfehlbares beziehungsweise unfehlbar sicher wirkendes Amt, durch ein sicher wirkendes Gebet (,,... daß Maria eine Bitte nicht erhört, ist unerhört... in Ewigkeit“), teilhaftig wird. Damit ist der Mensch in eine Sphäre der Passivität gedrängt, in der er sich nur noch mittels magischer Praktiken seines persönlichen Heils versichern kann (unter Verwendung der „Heilsinstitution“ Kirche und ihres Amtes), in der er nicht mehr sichtbar und Effizient „Gutes“ (oder „Besseres“) wirken muß, im Sinne der Bewährung in konkreter Situation, sondern auch im moralischen Bereich nur bestimmte objektive und immer gültige Vorschriften erfüllen muß.

Die Krise des Glaubens und die Krise der Kirche in der Gegenwart sind nicht zuletzt darin begründet, daß dieses gesamte Sprach- und Vorstellungsschema zusammengebrochen ist (beziehungsweise sein Zusammenbruch unübersehbar deutlich geworden ist), und das Sprach-, Denk- und Handlungsschema eines neuen, säkularen Christentums noch nicht gefunden ist, oder — wo es gefunden ist — weithin als un-christlich, un-orthodox abgelehnt wird.

So mag man also der einseitig geschichtlichen (entwicklungsgeschichtlichen) Beschreibung und Definition des „Magischen“, die Hierzenberger in dem einführenden, ersten Teil seines Buches gibt, nicht zustimmen; die Bedeutung seiner Untersuchung liegt aber vor allem darin, daß das Sensorium für die Feststellung des Magischen geschärft und daß vom biblisch-theologischen Befund her das „Kerygma der Säkularisierung“ aufgewiesen ist.

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